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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva-Ruth Landys
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und ihrer gebückt gehenden Besitzerin – einer abgearbeiteten Alten, deren Antwort auf ihre erneute Frage nach den McGillans aus dem zahnlosen, sabbernden Mund kaum zu verstehen war. Aber die Geste, mit der sie die Treppe hinunterwies in noch tiefere Dunkelheit, war unmissverständlich. Moder und Gestank schlug ihnen von dort entgegen wie eine Wand. Aaron holte noch einmal tief Luft und zog Cathy dann entschlossen hinter sich her. Er hoffte wirklich, dass ihnen solche Wohnverhältnisse auch in Zukunft erspart bleiben würden. Wie um alles in der Welt sollte William McGillan in einem solchen Loch je wieder gesund werden? Das Beste hoffend, aber das Schlimmste befürchtend, stieß er nach einem kurzen Anklopfen die Tür zu dem Kellerraum auf, in dem McGillan mit den Seinen hauste. Er spürte, wie sich Cathys Finger in seinen Arm krallten. Der Anblick, der sich ihnen bot, war schlicht schockierend. In dem winzigen Raum, dessen einzige Verbindung zur Außenwelt die Tür zum Treppenhaus und ein kleines, lochartiges Fenster unter der Decke darstellte, war die ganze Familie einschließlich einer Ziege versammelt. Eine einzelne aufflackernde Kerze warf ein unsicheres Licht. Der Gestank war entsetzlich, was nicht nur von den Exkrementen der Ziege verursacht wurde – das jämmerlich magere Tier war in der Tat am wenigsten schuld daran –, sondern vor allem von dem widerlichen Morast, der sich überall auf dem Boden ausbreitete. McGillan hatte deshalb dieselben Holzbohlen und Gitter in den Morast gelegt, die auch schon oben im Hof für Passierbarkeit sorgten und zweifellos stammte von dort auch der allgegenwärtige Moder, von den Regenfällen durch das gerade auf den Hof reichende Fensterloch heruntergespült. Die grünlichen Spuren an der Wand kündeten davon. Auf einer solchen Holzinsel stand auch der Tisch, um den sich Ruth mit einem Teil ihrer Kinderschar versammelt hatte. Das jüngste, kaum zwei Jahre alt, saß auf ihrem Schoß und greinte beim Anblick der Fremden, während die drei älteren Kinder, zwei Mädchen von etwa vierzehn und elf Jahren und ein Knabe um die neun Jahre, kaum von ihrer Arbeit aufblickten. Man war, wie viele Arbeiterfamilien in der Stadt, mit dem Falten von kleinen Papierschachteln beschäftigt, für die allerorten ein unablässiger Bedarf zu bestehen schien. Eine leichte, aber eintönige und schlecht bezahlte Arbeit vor allem für Frauen und Kinder, die nicht in den Fabriken unterkamen.
    Die anderen beiden nicht anwesenden Kinder gehörten offenbar zu der schmutzigen Horde, der Cathy und Aaron bereits im Hof des Mietshauses begegnet waren. Vielleicht waren sie noch zu ungeschickt oder langsam zum Schachtelfalten, oder hatten ein wenig Zeit zum Spielen bekommen.
    »Hallo Ruth!«, sagte Aaron, als die Frau sich nun mit fragendem und etwas ängstlichem Blick erhob und das Kind auf ihrem Schoß kurzerhand ihrer Ältesten auf die Knie setzte. »Ich wollte mich nach William erkundigen. Wie geht es ihm?«
    Ruths Blick wurde misstrauisch. Ruppig antwortete sie: »Wie soll es ihm schon gehen? Sieh doch selbst! Die verdammte Arbeit hat ihn fertiggemacht. Haben sie ihn jetzt rausgeworfen? Kommst du, um mir zu sagen, dass ein anderer seinen Posten bekommen hat, Stanton?«
    »Nein!«, Aaron schüttelte den Kopf und zog dann bedauernd die Schultern hoch. »Allerdings hat der Vorarbeiter tatsächlich damit gedroht ihn zu entlassen, wenn er nicht demnächst wieder bei der Arbeit erscheint. Heute musste schon ein Ire für ihn einspringen. Der hat sich gut gemacht – geschuftet wie ein Wilder. Kann gut sein, dass Priestley ihm die Stelle gibt, wenn William nicht morgen oder spätestens übermorgen wieder zur Arbeit kommt.«
    Ruths abwehrende Härte schlug angesichts dieser Nachricht in Verzweiflung um. Sie sank zurück auf die grob zusammengezimmerte Bank am Tisch und brach unvermittelt in Tränen aus. Cathy war im Nu bei ihr und nahm sie mitfühlend in den Arm, doch die Frau ließ sich nicht trösten. »Dann ...«, schluchzte sie, »dann kannst du Priestley sagen, dass er mit William nicht mehr zu rechnen braucht. Ich weiß nicht mal, ob er die Nacht noch übersteht.«
    »Steht es wirklich so schlimm?«, fragte Aaron betroffen.
    Ruth nickte. Die Kinder hatten aufgehört zu arbeiten und blickten nun verstört zwischen Aaron und der Mutter, die inzwischen völlig die Fassung verloren hatte, hin und her.
    Aaron ertrug den Blick aus den aufgerissenen Kinderaugen einfach nicht. Jäh wandte er sich dem Bett zu, auf

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