Stadt des Schweigens
Fotos machten, als sie mit Matt zum Schulball gegangen war. Die beiden Familien unter dem Weihnachtsbaum. Liebevolle, tröstliche Erinnerungen.
„Schön, wieder zu Hause zu sein, was?“ sagte Buddy leise, als lese er ihre Gedanken.
Sie öffnete die Augen und sah ihn an. „Trotz allem, ja.“ Kurz wandte sie den Blick ab. „Ich wünschte, ich wäre früher heimgekehrt. Nach Moms Tod … hätte ich bleiben sollen. Wenn ich …“
Cherry kehrte mit dem Wein zurück und reichte Avery ein Glas mit blassgoldener Flüssigkeit. „Was hast du für Pläne?“
„Zuerst muss ich den Beisetzungsgottesdienst für Dad organisieren. Ich habe Danny Gallagher heute Nachmittag angerufen. Wir treffen uns morgen zum Lunch.“
„Wie lange bleibst du?“ Cherry saß am anderen Ende der Couch und schlug die Beine unter.
„Ich habe unbezahlten Urlaub von der Post genommen, weil ich einfach nicht weiß, wie lange es dauert, Dads Sachen durchzugehen und das Haus zum Verkauf bereitzumachen.“
„Tut mir Leid, dass ich zu spät komme.“
Avery blickte auf. Matt stand mit einem Blumenstrauß und leicht amüsiertem Blick in der Tür und sah sie an. Er hatte die Uniform gegen Jeans und ein weiches Karohemd getauscht.
„Ich habe Mom ein paar Blümchen mitgebracht. Ist sie in der Küche?“
„Du kennst doch Mom.“ Cherry ging zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Dad hat sich bereits über den Mangel an Enkelkindern beklagt. Erinnere mich, dass ich das nächste Mal auch zu spät komme.“
Matt sah Avery grinsend an. „Freut mich, dass ich das versäumt habe. Obwohl ich zweifellos noch in den Genuss der Wiederholung komme.“
Buddy warf seinen Kindern finstere Blicke zu. „Keine Enkel und keinen Respekt.“ Er sah Richtung Küche. „Lilah, was haben wir bei diesen Kindern falsch gemacht?“
Lilah steckte den Kopf zur Tür herein. „Buddy, lass um Himmels willen die Kinder in Frieden.“ Sie wandte sich an ihren Sohn. „Hallo, Matt. Sind die für den Tisch?“
„Ja, Ma’am.“ Er schlenderte zu ihr, gab ihr einen Kuss auf die Wange und überreichte die Blumen. „Irgendwas riecht hier ganz vorzüglich.“
„Komm, hilf mir mit dem Braten.“ Sie wandte sich an ihre Tochter. „Cherry, würdest du die Blumen in eine Vase stellen?“
Während Avery die Szene verfolgte, überlegte sie, dass sie offiziell ein Teil dieser Familie hätte werden können. Alle hatten erwartet, dass sie eines Tages Matt heiratete.
Buddy unterbrach ihre Gedanken. „Hast du mal darüber nachgedacht, zu bleiben? Hier ist dein Zuhause, Avery. Du gehörst hierher.“
Sie musste sich überwinden, ihn anzusehen, nicht sicher, was sie erwidern sollte. Ja, sie war gekommen, sich um Familienangelegenheiten zu kümmern, aber auch, um für sich Klarheit zu finden -und inneren Frieden. Nicht nur wegen des Todes ihres Vaters, sondern auch in Bezug auf den eigenen Lebensweg.
Wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie sich schon eine Weile treiben ließ, war weder glücklich noch unglücklich, eher leicht unzufrieden, aber ohne zu wissen, warum.
„Gehöre ich wirklich hierher, Buddy? Ich habe mir immer eingebildet, nach einer anderen Pfeife zu tanzen als die anderen.“
„Dein Dad glaubte, du gehörst hierher.“
Sofort brannten ihr Tränen in den Augen. „Er fehlt mir so sehr.“
„Ich weiß, kleines Mädchen.“ Einen Moment herrschte befangenes Schweigen. Buddy brach es schließlich. „Er hat den Tod deiner Mutter nie verwunden, vor allem die Art, wie sie starb. Er liebte sie so sehr.“
Auf dem Weg nach New Orleans, wo sie sich zum Einkaufsbummel und Essengehen mit einer Cousine treffen wollte, hatte sie am Steuer ihres Wagens einen Schlaganfall erlitten, war über den Highway geschleudert und gegen eine Steinwand geprallt.
Ein Geräusch von der Tür riss Avery aus ihren Gedanken. Lilah stand traurig da, Matt und Cherry hinter ihr. „Es war so schrecklich. Sie hatte mich noch am Abend, ehe sie losfuhr, angerufen. Sie hatte sich nicht wohl gefühlt und Phillip ihre Symptome geschildert, weil sie nicht sicher war, ob sie die Fahrt machen sollte. Phillip hatte sie gedrängt zu fahren. Sie habe nichts, was ein bisschen Tapetenwechsel nicht heilen könne, sagte er ihr. Ich glaube, er hat sich das nie verziehen.“
„Er machte sich Vorwürfe, dass er ihren Zustand nicht erkannt hat“, fügte Buddy leise hinzu. „Er glaubte, wenn er sich so sehr um seine Frau gekümmert hätte wie um seine Patienten, hätte er sie
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