Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Stadt gebracht hat. Vom Sommerflohmarkt, auf dem wir unseren Trödel verkauft haben, von den bunten Leihfahrrädern, die neuerdings durch die City cruisen, und vom Zuckerfest zum Ende des Ramadan, das unsere Nachbarn im Park feierten. Frau Trippel verknackste sich beim Beachvolleyball den Knöchel, in der Notaufnahme vom Krankenhaus wurde er flott getaped. Frau Schaefer lernte beim morgendlichen Schwimmen im Freibad einen charmanten Herren kennen, abends traf man sich im Freiluftkino, was danach geschah, weiß keiner außer ihnen.
Okay, schwimmen kann man auch im See in Datschendorf. Aber alles andere, das uns und unseren Geist am Leben hält – wir finden es nur in der Stadt: Guerilla-Gärtner zum gemeinsamen In-der-Erde-Wühlen. Die Freiheit, mal wieder die Wohnung zu wechseln. Die Auswahl unter fünfzig Bars. Den Spanischkurs in der Volkshochschule. Igel und Fuchs sagen sich im Nachbargarten Gutenacht, Kranke bekommen die Pflege, die sie verdienen, Menschen aus fernen Ländern, Künstler und Spinner aller Couleur dürfen anders bleiben. Zu guter Letzt: Was würden wir Lebenszeit, Benzin und CO ₂ verschwenden, pendelten wir nicht nur alle paar Wochen, sondern jeden Tag zwischen Datschendorf und Großstadt hin und her!
Gefühl und Verstand, Herz und Hirn – alles spricht für das Leben in der Stadt. Die homogene Gesellschaft da draußen, die weichgezeichnete Landlust-Welt mit ihrem getöpferten Kleinklein, sie langweilt uns nach spätestens zwei Tagen. Die eskapistische Flucht aufs Dorf, die Verniedlichung des Bauernlebens, der Rückzug ins rein Private zu den selbst gezogenen Karotten – all das ist uns ein Graus. Wir brauchen, wir lieben die offene Gesellschaft der Stadt.
Doch so sehr wir das Urbane schätzen: Manche Menschen werden nie städtisch leben wollen. Sie werden weiterhin Wert darauf legen, nur von offenem Himmel und Feldern umgeben zu sein. Ihnen sei die Ruhe gegönnt – aber bitte keine Klagen über das, was sie verpassen!
Diejenigen hingegen, die sich mit dem Gedanken tragen, die Stadt zu verlassen und aufs Land zu ziehen – sie seien gewarnt: Macht euch nicht unglücklich! Die Stadt ist kein Paradies, aber das Landleben erst recht kein Garten Eden. Allen planerischen Fehlern und Problemen zum Trotz: Nie waren Städte lebenswerter als heute. Und anziehender. Seit wenigen Jahren leben erstmals in der Menschheitsgeschichte weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Städte sind wandelbar, sie sind es immer gewesen und werden es weiter sein. Und da ist noch Luft nach oben. Mit mehr öffentlichem Raum, bezahlbaren Wohnungen und besseren Schulen. Mit weniger Pendelverkehr und Lärm, mehr Fahrrädern, mehr Grün, mehr Toleranz.
Die Zukunft ist urban.
Wir bleiben in der Stadt.
Literaturverzeichnis
Intro
Siedlungsentwicklung und Mobilität: Arbeitsblätter für die Bauleitplanung 8, herausgegeben von der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren, 2011
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Stadt oder Land hart durchgerechnet. Von Dennis Kremer, 20.5.2012
Axel Brüggemann: Landfrust. Ein Blick in die deutsche Provinz. Kindler, 2011
Wilhelm Schmid: Die Fülle von Möglichkeiten auf engem Raum. Über die Lebenskunst in der Stadt. Erschienen in: VIA REGIA – Blätter für internationale kulturelle Kommunikation Heft 28/29, 1995
Kurt Tucholsky: Das Ideal, in: »Berliner Illustrirte Zeitung«, 31.7.1927
Rainer Metzger: Swinging London. The Sixties. Brandstätter, 2012
Edward Glaeser: Triumph of the City – How Our Greatest Invention Makes Us Richer, Smarter, Greener, Healthier, and Happier. Penguin Books, 2012
Kapitel 1
Nomadisch grün: Prinzessinnengärten. Anders gärtnern in der Stadt. Dumont, 2012
www.prinzessinnengaerten.de
Christa Müller: Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. Oekom, 2011
Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt: Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt. Oekom, 2012
Jakob Augstein:, Nils Hoff: Die Tage des Gärtners: Vom Glück im Freien zu sein. Hanser, 2012
Richard Reynolds: Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest. Orange Press, 2010
Peter Warnecke: Laube, Liebe, Hoffnung. Kleingartengeschichte. W. Wächter, 2001
Bundesverband deutscher Gartenfreunde: www.kleingarten-bund.de
Städtebauliche, ökologische und soziale Bedeutung des Kleingartenwesens: Studie des Bundesamts für Bauwesen und Städtebau in Bonn. Erschienen in: Forschungen, Heft 133, Bonn 2008
Gärten zum Ernten:
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