Vilja und die Räuber: Roman (German Edition)
Kapitel 1
in dem wir erfahren, wie ein Räuberbus aussieht und was genau der Wilde Karlo bei einem Inspirationsüberfall tut
I n der zweiten Juniwoche wurde ich geklaut. Das war auch gut so! Diese Sommerferien waren schon blöd, ehe sie richtig angefangen hatten. Erst hatte es geheißen, wir würden eine Radtour machen, aber wir sind zu Hause geblieben, weil es ein bisschen nieselte. Dann war die Rede von einem Campingurlaub, aber wie üblich kam Papa etwas von seiner Arbeit dazwischen, und wir fuhren nicht. » Ein gemeinsames Erlebnis für die ganze Familie!«, verkündete Papa immer, wenn er wieder am Planen war, dabei fragte er uns Töchter nicht einmal, was wir gerne machen würden. Wirklichkeit wurden die Pläne sowieso nie, deshalb glaubte ich Sommerferien-Versprechungen sowieso nicht mehr.
An jenem heißen Tag hatten wir uns alle vier in Papas neues Auto gezwängt und waren auf dem Weg zu Oma. Das war der ödeste von allen möglichen Sommerferienplänen, fanden jedenfalls Vanamo und ich. Wir hatten von Anfang an schlechte Laune und stritten uns im Auto um den Inhalt einer Bonbontüte. Vanamo hatte sich – angeblich das Vorrecht der großen Schwester – alle Lakritzbonbons gekrallt. Dabei wusste sie genau, dass das die einzigen waren, die ich mochte: Nur die Lakritzbonbons in Form von kleinen Autos. Aber wie immer musste sie mich ärgern. So hörte es sich genau in dem Moment in unserem Auto an:
» Jetzt ist Schluss mit dem Gezeter da hinten, oder eine fliegt raus, und zwar noch vor dem nächsten McDonald’s!«, drohte Papa.
Vanamo streckte mir die Zunge raus, auf der ein Lakritzauto lag.
» Wirklich, jetzt hört mal auf euren Vater!«, versuchte Mama es ihrerseits, obwohl ihr nun wirklich niemand zuhörte. Sie sah uns nicht an, denn sie musste auf die Straße schauen, sonst wurde ihr schlecht. » Vilja, man darf anderen nichts wegnehmen. Das ist unhöflich und hässlich.«
Wie üblich war ich schuld. Immer gewann Vanamo.
» Diebin!«, legte Vanamo nach.
» Scheinheilige Rabenkrähe!«, sagte ich, weil sowieso niemand zu mir hielt.
Auf den Überfall waren wir natürlich überhaupt nicht vorbereitet. Wir hatten einfach nur Sommerferien und stritten uns.
Genau in dem Moment schlug der Räuberbus zu.
Später, als ich schon mehrere Überfälle miterlebt hatte, konnte ich mir leicht vorstellen, was gleichzeitig im Räuberbus abgelaufen war. Das Objekt, unser Auto, war durch Fernglasaufklärung ausgewählt worden und befand sich hinter einer Wegbiegung. Der Räuberbus wurde auf Überfallgeschwindigkeit beschleunigt. Die Räuberflagge wurde an ihrer Teleskopstange durch die Lüftungsklappe im Dach geschoben und begann im Fahrtwind zu flattern. Hilda Räuberberg schnitt elegant die Kurve, ohne zu bremsen. Von allen waghalsigen Autofahrern war Hilda sicherlich am dreistesten. Meistens saß sie im Bikini oder in einem ärmellosen Top am Steuer, denn sie lenkte mit aller Kraft aus den Schultern, und davon wurde ihr warm.
Im hinteren Teil des Kleinbusses waren die restlichen Räuberbergs bereit zum Zuschlagen. Der Räuberhauptmann, der Wilde Karlo, hing schon an einem der Wurfgriffe. Seine prächtigen keksgelben Räuberzöpfe wehten im Fahrtwind. Gold-Piet hielt sich am anderen Griff fest und trainierte sein grausigstes Überfallgrinsen.
» Ich bin schon groß genug für einen Überfall, wirklich!«, quengelte Kalle. » Ich habe auch dieses Messer hier schon geschärft!«
» Ach, du hast das Gemüsemesser!«, sagte Mama Hilda und behielt die Straße fest im Blick.
» Jaja! Aber wenn es ernst wird und du sagen müsstest: › Hände hoch‹, dann fängst du an zu heulen«, stellte Hele sachlich fest und lackierte sich trotz der hohen Geschwindigkeit die Zehennägel, jeden in einer anderen Farbe. Die zwölfjährige Hele war superbegabt für alles und deshalb die gefährlichste Räuberin in der Familie, so gefährlich und wild, dass sie bei den Überfällen gar nicht mitmachen durfte, sofern es nicht nötig war, echten Schrecken zu erregen. Die Zehen in die Luft gestreckt, saß sie auf der Rückbank und hielt ungerührt die Balance, obwohl das Heck des Busses ins Schleudern geriet, als die Räubermama beschleunigte.
» Hör jetzt und sowieso auf deinen Vater! Der weiß, was am besten ist«, erklärte Gold-Piet. Seine goldenen Schneidezähne blitzten, als er, an einem der Wurfgriffe hängend, Kalle liebevoll zulächelte, was für fremde Augen zweifellos ausgesehen hätte wie das Zähnefletschen eines Tigers
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