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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Hammerschlag in der Kehle spürte, raffte er sich auf und sah langsam, unter der überschattenden, zitternden Hand zu jenem Fenster auf, in dessen Rahmen er das verführerische Bild gesehn.
    Er hatte sich getäuscht. Es war nicht das Mädchen von des jungen Meisters Marienbild. Aber die erhobene Hand sank darum nicht verzagend herab. Denn auch das, was er erschaute, schien ihm ein Wunder zu sein, wenn auch ein viel lieblicheres, milderes und menschlicheres, als eines Gottes Erscheinung, die im glühenden Strahl einer begnadeten Stunde erscheint. Nur eine ferne und verlorene Ähnlichkeit hatte jenes Mädchen, das sich nachdenklich über die leuchtende Brüstung des Fensters lehnte, mit jenem Altarbild: auch ihr Gesicht war von schwarzen Locken umfaltet, und auch sie blühte in jener geheimnisvollen und phantastischen Blässe, aber ihre Züge waren härter, geschärfter, fast zornig, und um den Mund legte sich ein verweinter und trotziger Zorn, den nicht einmal der verlorene Ausdruck ihrer träumerischen Augen mäßigen konnte, aus denen eine alte und tiefe Trauer empordämmerte. Kindischer Mutwille und vererbtes vergrabenes Leid funkelten zusammen in dieser mühsam gebändigten Unrast. Eine Stille war in ihrem Ruhen, die sich jeden Augenblick in einer jähzornigen Bewegung lösen konnte, etwas Phantastisches und Abenteuerliches, über das kein sanftes Träumen hinwegtäuschen konnte; und der Maler fühlte an einem gewissen gespannten Ausdruck ihrer Züge, daß in diesem Kinde schon eine jener Frauen zu wirken beginne, die ihre Träume leben und mit ihren Sehnsüchten verwachsen, deren Seele sich an die Dinge klammert, die sie lieben, mit allen ihren Fibern und Fasern, und die sterben, wenn sie Gewalt von ihnen löst. Mehr aber als alle diese Sonderbarkeit und Fremdheit in ihrem Gesichte erstaunte ihn das Wunderspiel der Natur, das hinter ihrem Haupte im bespiegelten Fenster die sonnige Glut aufstrahlen ließ wie einen Heiligenschein, der sich um ihre Locken sammelte und sie funkeln ließ, wie schwarzen Stahl. Und in diesem Spiel meinte er deutlich die Hand Gottes zu spüren, die ihm den Weg wies, sein Werk wohlgefällig und würdig zu vollenden.
    Ein Karrenführer stieß derb an den in Schauen versunkenen Maler an, der verloren inmitten der Straße stand. »Gottes Zorn! Könnt ihr nicht achtgeben oder hat es Euch alten Kerl die schöne Jüdin da angetan, daß ihr gafft wie ein Lümmel und den Weg versperrt?«
    Der Maler fuhr auf, erschreckt, aber nicht verletzt durch den groben Ton, den er überhört hatte über der Kunde, die ihm dieser übelgekleidete und ruppige Genosse brachte. Und ganz erstaunt richtete er das Wort an ihn.
    »Das ist eine Jüdin?«
    »Ich weiß nicht, aber man sagt es. Jedenfalls ist es nicht der Leute Kind, sie haben es wo gefunden oder bekommen. Was schert’s mich, meine Neugierde hat’s nie geplagt und wird’s auch nicht sobald. Fragt den Meister selbst, wenn ihr’s wissen wollt, der weiß sicherlich besser als ich, wieso er dazu gekommen ist.«
    Der »Meister«, auf den er wies, war ein Wirt, der Besitzer einer jener dumpfen, verrauchten Schenken, in denen nie ganz das Leben und Lärmen erstirbt, weil Spieler und Matrosen, Soldaten und Müßiggänger sich dort einquartieren, um sie nur selten wieder zu verlassen. Breit, mit aufgequollenem, aber gutmütigem Gesicht stand er in der schmalen Türe, wie ein einladendes Schild. Ohne viel Besinnen trat der Maler auf ihn zu. Sie traten ein in die Schenke; der Maler setzte sich in eine Ecke an einen der beschmierten Holztische, ein wenig unruhig und erregt, und als der Wirt ihm das geforderte Glas vorsetzte, bat er ihn, einen Augenblick mit ihm den Platz zu teilen. Und leise, um ein paar Matrosen, die am Nebentische, schon ein wenig betrunken, vor sich hingröhlten, nicht aufmerksam zu machen, sprach er sein Anliegen aus. Er erzählte ihm in fliegenden, aber innerlich bewegten Worten von dem Wunderzeichen, das ihm erschienen und bat schließlich den Wirt, der erstaunt zuhörte und sich anscheinend bemühte, mit seinem langsamen, vom Wein verqualmten Fassungsvermögen dem Maler zu folgen, – er möge gestatten, daß ihm seine Tochter als Folie eines Marienbildes diene. Er vergaß nicht zu erwähnen, daß durch die gegebene Verstattung auch der Vater teilhaftig werde an dem gottesfürchtigen Werk und merkte wiederholt an, daß er bereit sei, den Dienst in barem Gelde zu vergüten.
    Der Wirt antwortete nicht gleich, aber er wühlte mit seinem

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