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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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klaren Blick des alten Mannes glühte jäh die Tragödie der Einsamkeit und stolzen Fremdheit auf, die so früh schon in diesem Kinde kämpfte. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und ihr einen segnenden, beruhigenden Kuß auf die Stirne gedrückt, aber er fürchtete sie zu erschrecken und fürchtete die Augen der andern, die einander lachend die seltsame Gruppe zeigten. Er verstand dieses Kind so ganz, ohne ein Wort von seinen Lippen zu wissen, und ein brennendes Mitleid stieg in ihm empor, wie eine heiße strömende Flut, denn er kannte die Schmerzlichkeit jenes Trotzes, die nur so hart und jähzornig und drohend ist, weil er Liebe ist, eine große und unfaßbare Fülle der Liebe, die sich verschenken will und sich verstoßen fühlt. Sanft fragte er sie: »Wie heißt du, Kind?«
    Sie sah vertrauend, aber verwirrt zu ihm auf. Noch war ihr alles zu seltsam, zu fremd. Und ein schüchternes Zittern lag in ihrer Stimme, als sie leise und sich halb abwendend sagte »Esther.«
    Der alte Mann aber fühlte dennoch, daß sie Vertrauen zu ihm hege, es nur noch nicht zu zeigen wage. Und sanft begann er:
    »Ich bin ein Maler, Esther, und ich will dich malen. Es wird dir nichts Übles geschehen, und du wirst manches Schöne bei mir sehen und manchmal werden wir vielleicht zusammen sprechen, wie gute Freunde. Nur eine oder zwei Stunden wird es jeden Tag dauern, so lange, als es dir behagt. Willst du zu mir kommen, Esther?«
    Das Mädchen wurde noch röter und wußte nicht zu antworten. Dunkle Rätsel taten sich plötzlich vor ihr auf, zu denen sie keine Wege fand. Schließlich sah sie mit einem unruhig fragenden Blick den Wirt an, der neugierig daneben stand.
    »Dein Vater erlaubt es und sieht es sogar gerne«, beeilte sich der Maler zu sagen. »Von dir allein hängt die Entscheidung ab, denn zwingen möchte und kann ich dich nicht. Willst du also, Esther?«
    Er hielt ihr seine große gebräunte Bauernhand einladend entgegen. Sie zögerte einen Augenblick, dann legte sie verschämt und wortlos ihre kleine weiße Hand zustimmend in die des Malers, die sich eine Sekunde lang darum schloß, wie um eine gefangene Beute. Dann gab er sie mit freundlichem Blick frei. Der Wirt staunte über den so rasch abgeschlossenen Handel und rief einige Matrosen von den Tischen herbei, um ihnen das seltsame Geschehnis zu zeigen. Aber das Mädchen, das sich verschämt im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte, sprang plötzlich auf und schoß wie der Blitz zur Türe hinaus. Überrascht schauten ihr alle nach.
    »Donnerwetter«, sagte der Wirt ganz verwundert, »Ihr habt da ein Meisterstück gemacht. Nie hätte ich gedacht, daß das scheue Ding einwilligen würde!«
    Und wie zur Bekräftigung goß er wieder ein Glas hinab. Der Maler, dem es unbehaglich zu werden begann in dieser Gesellschaft, die langsam vertraulich wurde, warf Geld auf den Tisch, besprach mit dem Wirte alles nähere und schüttelte ihm dankbar die Hand, beeilte sich aber aus der Schenke zu treten, deren Dunst und Lärm ihn anwiderte, und deren saufende und gröhlende Insassen ihn mit Ekel erfüllten.
    Als er auf die Straße trat, war die Sonne schon gesunken, und nur mattrosa Dämmerung umhüllte noch den Himmel. Der Abend war mild und rein. Mit langsamem Schritt ging der alte Mann heimwärts und dachte der Ereignisse, die ihm so seltsam und so begütigend dünkten wie ein Traum. Und gottesfürchtige Stimmung umfing sein Herz, das selig zu erzittern begann, wie nun von einem Turme die erste Glocke zum Gebete rief und Glockenstimmen von allen Türmen der Runde einfielen, mit hellen und tiefen, dumpfen und freudigen, klingenden und murrenden Stimmen, wie Menschen in Freude und Sorge und Schmerz. Unglaublich dünkte es ihm zwar, daß über ein Herz, das ein Leben lang schlicht im Dunkel geraden Weges gegangen, noch spät die milden Leuchten göttlicher Wunder sich entzündeten, aber er wagte nicht mehr zu zweifeln; und diesen Glanz erträumter Gnade trug er durch das Dunkel der verdämmernden Straßen heimwärts in ein seliges Wachen und einen wundersamen Traum…
     
    Tage waren verflossen, und noch immer stand die Leinwand unberührt auf des Malers Staffelei. Nun war es aber nicht Verzagtheit mehr, die seine Hände fesselte, sondern ein sicheres inneres Vertrauen, das nicht mehr mit Tagen rechnet und zählt, das nicht hastet, sondern sich wiegt in seliger Stille und verhaltener Kraft. Esther war gekommen, scheu zwar und verwirrt, aber bald hingebender, sanfter und

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