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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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waren überfallen worden, und beim Sange der Genfer Psalmen sollten Kirchen gestürmt worden sein. Noch war alles dies unverbürgt, aber man fühlte das heimliche Flackern eines werdenden Brandes, und der bewaffnete Widerstand, den die Besonnenen in ihren Stuben bei heimlicher Beratung planten, artete in jähen Trotz und Unbotmäßigkeit aus bei den vielen, die nichts zu verlieren hatten.
     
    Der Festtag hatte jene erste schmutzige Welle nach Antwerpen gespült, jenen heillosen Pöbel, der nie geeint ist und sich nur bei Revolten plötzlich zusammenrottet. Finstere Gestalten, die niemand kannte, tauchten mit einem Male in den Schenken auf, fluchten und drohten wild den Spaniern und den Pfaffen. Aus den Winkeln und verrufenen Gäßchen quoll seltsames tagscheues Volk mit trotzigem und gereiztem Gebaren. Die Händel mehrten sich. Ab und zu gab es kleine Zusammenstöße, aber sie griffen nicht über in die allgemeine Erregung, sondern erloschen wie einsam aufzischende Funken. Noch hielt der Prinz von Oranien strenge Zucht und überwachte dieses habgierige zanksüchtige und böswillige Gesindel, das nur um des Gewinnes willen mit den Protestanten gleiche Sache machte.
    Die große und prunkvolle Feierlichkeit der Prozession reizte nur den Grimm der unterdrückten Instinkte. Zum ersten Mal mischten sich derbe Scherzworte in den Sang der Gläubigen, blinde Drohungen flatterten auf und höhnisches Lachen. Manche sangen den Text des Geusenliedes auf die fromme Melodie, ein junger Bursch ahmte zum Gaudium seiner Genossen mit quäkender Stimme den Prediger nach, andere grüßten das Bildnis mit koketter Hutschwenkung, wie eine geminnte Dame. Die Soldaten und die wenigen Gläubigen, die sich zur Feier gewagt hatten, waren machtlos und mußten mit verbissenen Zähnen den Spott ertragen, der immer übermütiger wurde. Und immer ungebärdiger wurde das ungezügelte Volk, seitdem das Bewußtsein seiner trotzigen Kraft erwacht war. Fast alle schon gingen in Waffen. Und der finstere Wille, der sich jetzt nur in Flüchen und wuchtigen Drohungen Bahn brach, begehrte nach Taten. Wie eine Gewitterwolke lastete diese drohende Unruhe am festlichen Tage und an den folgenden über der Stadt.
    Die Frauen und die Besorgteren unter den Männern hüteten seit den ärgerlichen und gefahrdrohenden Szenen bei der Prozession das Haus. Dem Pöbel und den Protestanten gehörte die Straße nunmehr allein. Auch Esther war daheim geblieben in den letzten Tagen. Aber sie wußte von all diesen Stürmen und Geschehnissen nichts. Sie merkte dumpf, daß sich mehr und mehr in der Schenke die Menschen drängten, daß sich kreischende Dirnenstimmen in den erregten Chor der streitenden und fluchenden Männer mischten, sie sah rings verstörte Frauengesichter und heimlich tuschelnde Gestalten, aber eine dumpfe Lässigkeit allen Dingen gegenüber erfüllte sie dermaßen, daß sie nicht einmal ihren Ziehvater darum fragte. Sie dachte nur mehr an das Kind, an jenes Kind, das längst in ihren Träumen das ihre geworden war; alle Erinnerung verdämmerte in diesem einen Bilde. Nicht mehr fremd schien ihr die Welt, sondern wertlos, weil sie ihr nichts zu geben hatte; in dem Kindesgedanken verlor sich ihre liebende Hingebung und das glühende Gottesbedürfnis ihrer Jahre. Nur die eine Stunde, da sie sich zu dem Bilde, das ihr Gott und Kind zugleich war, hinschlich, atmete sie wirkliches Leben, sonst war ihr Tun und Treiben nur das sehnsüchtige Irren einer Verträumten, die an den Dingen wie eine Mondsüchtige vorübergeht. Tag für Tag und einmal auch eine lange und von heißen Düften schwere Sommernacht, da sie verstohlen aus dem Hause geflüchtet war und sich in die Kirche hatte einschließen lassen, lag sie auf den Knieen vor diesem Bilde, das ihre unwissende Seele sich zum Gott gekrönt.
    Und diese Tage lasteten schwer auf ihr, denn sie versperrten ihr den Weg zu ihrem Kinde. Während des Marienfestes erfüllten festliche Mengen die hohen Gänge und das orgelbrausende Kirchenschiff; gekränkt und demütig wie eine Bettlerin mußte sie sich aus dem Gewirre der Frommen wieder zum Ausgange wenden, denn Gläubige umstanden unablässig an diesem Tage die Marienbilder, und sie mußte fürchten erkannt zu werden. Traurig und fast verzweifelt ging sie zurück und fühlte all die schwere Sonnenhelle des Tages nicht, weil ihr der Anblick des Kindes versagt war. Neid und Zorn packte sie beim Anblicke der unablässig heranpilgernden Scharen, die in frommer Wallfahrt durch die

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