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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Absicht der Eingedrungenen, als am Nebenaltare eine Statue der Madonna mit gellem Todesschrei zersplittert zu Boden sank. Die Angst wurde in ihr wach, man wolle auch ihr Bild, ihr Kind vernichten, und sie wurde Gewißheit, als Bild um Bild, im unsichern Fackelschein unter Jubel und Hohn herabgezerrt, zerstoßen und zertreten wurde. Ihr ganzes Denken strömte brausend zusammen in die furchtbare blitzartig aufzuckende Idee, man wolle das Bild ermorden, das in ihren wirren Träumen längst eines war mit ihrem eigenen lebendigen Kinde. In einer Sekunde flammte alles auf wie in blendendes Licht getaucht. Ein Gedanke, der Gedanke all ihrer Tage, tausendfach gedacht in diesem einen Augenblicke, entzündete ihr Herz: Das Kind zu retten, ihr Kind. Und in dieser Sekunde umfingen sich in ihr Traum und Wirklichkeit mit verzweifelter Inbrunst. Schon stürmten die zelotischen Zerstörer auf den Altar zu. Eine Axt flog hoch auf in der Luft – und in diesem Augenblicke verlor sie alles wache Besinnen und sprang schützend mit ausgebreiteten Armen vor das Bild…
    Und wie ein Zauber war es. Dumpf schmetterte die Axt aus der kraftlos niedersinkenden Hand zu Boden. Und aus des andern erstarrenden Faust zischte die Fackel verlöschend nieder. Wie ein Blitz fuhr es unter diese berauschten lärmenden Menschen. Alles war verstummt, nur einem erstarb in der Kehle der gurgelnde Ruf: »Die Madonna… die Madonna.«
    Kreidefahl und zitternd standen sie alle. Ein paar fielen betend in die schlotternden Kniee. Keiner war, der nicht ins tiefste erschauert wäre. Überwältigend war die wundersame Täuschung. Denn für sie gab es keinen Zweifel, daß sich hier ein oft beglaubigtes und erzähltes Wunder ereignet hatte, daß die Madonna, die offenbarlich des Bildes Züge trug, ihr Bild beschützt hatte. Ihr aufgepeitschtes Gewissen riß sie mit, als sie die Züge des Mädchens sahen, die ihnen nicht anderes schien als das verlebendigte Bild. Und nie waren sie gläubiger, als in diesem raschen und flüchtigen Augenblick.
    Aber da stürmten schon andere herbei. Fackeln erhellten die erstarrte Gruppe und das Mädchen, das sich halberstarrt an den Altar preßte. Lärm überflutete das Schweigen. Rückwärts kreischte eine Dirnenstimme: »Vorwärts… das ist ja nur das Judenmädel des Wirts.« Und jählings war der Zauber gebrochen. In Scham und Wut stürmten die Gedemütigten hinauf. Eine rauhe Faust stieß Esther zur Seite, daß sie taumelte. Aber sie raffte sich auf; sie kämpfte für das Bild, als gelte es wirklich eigenes blutwarmes Leben. Blindwütend und in altem Trotze schlug sie mit einem schweren silbernen Leuchter gegen die Bilderstürmer; einer stürzte auffluchend hin, aber einer sprang erbittert vor. Ein Dolch zuckte wie ein kurzer roter Blitz und Esther taumelte nieder. Und schon regneten die Splitter und Stücke des Altars auf sie herab, die keinen Schmerz mehr fühlte. Das Bild der Madonna mit dem Kinde und das der Madonna mit dem wunden Herzen, beide fielen sie unter einem einzigen wütenden Axthieb.
    Und weiter stürmte das Rasen; von Kirche zu Kirche eilten die Plünderer, die Straßen mit heillosem Lärm erfüllend. Eine furchtbare Nacht sank auf Antwerpen herab. Schrecken und Beben schlich in die Häuser mit der Kunde, hinter den verriegelten Toren schlugen ängstliche Herzen. Aber die Flamme des Aufruhrs flaggte wie eine Fahne über das ganze Land. –
    Auch der alte Maler erschauerte in dieser Nacht in unbändiger Angst, als er die Nachricht vom Bildersturm vernahm. Seine Kniee zitterten, und er faßte mit flehenden Händen ein Kruzifix, um die Rettung des Bildes zu beschwören, das ihm doch Gottes offenbare Gnade geschenkt. Eine wilde und finstere Nacht quälte ihn der fürchterliche Gedanke. Und im frühesten Morgengrauen hielt es ihn nicht länger zu Hause.
    Vor der Kirche schlug seine letzte Hoffnung nieder, wie eine gefällte Gestalt. Die Tore waren zerbrochen, Fetzen und Splitter, wie blutige Spuren deuteten den mitleidslosen Weg der Bilderstürmer. Mühsam tappte er durch das Dunkel zu seinem Bilde. Seine Hände griffen nach dem Schrein. Aber sie irrten, irrten ins Leere. Und sanken müde herab. Das Vertrauen in seiner Brust, das viele Jahre sein frommes Lied zu Gottes Dank und Gnade gesungen, verflog jäh, wie eine gescheuchte Schwalbe.
    Endlich faßte er sich und schlug ein Licht an. Ein flüchtiger Schein zuckte vom Zündsteine auf und hellte ihm einen Anblick, der ihn taumelnd zurückfahren ließ. Auf dem Boden

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