Stefan Zweig - Gesammelte Werke
nun Helle in dieser lastenden breiten Dunkelheit, ein zartes Tönen harfte auf in der schauernden Stille, die nichts wußte von Menschenwort und Uhrenschlag. Über ihren hingestreckten Körper ging die Zeit mit unhörbaren Schritten…
Ein jäher Stoß erschütterte mit einem Male die Pforte. Und ein zweiter und dritter, daß sie entsetzt auffuhr und in das furchtbare Dunkel starrte. Und neue donnernde Stöße, daß das ganze hohe stolze Gebäude erzitterte und die einsamen Lampen wie feurige Augen durch das Dunkel rollten. Wie hilfloses Schreien gellte das Feilen des gesprengten Türriegels durch den leeren Raum, dessen Wände sich die schaurigen Geräusche wirr und heftig zuwarfen. Gieriger Zorn vieler Menschen hämmerte an der Pforte, und ein Brausen erregter Stimmen dröhnte in die hohle Einsamkeit, als hätte das Meer donnernd alle Dämme zerrissen und stände mit seinen anprallenden Wogen vor den ächzenden Türen des schlafenden Gotteshauses.
Esther horchte verstört, wie aus einem Traume geschreckt. Aber da schmetterte endlich das Tor nieder. Ein dunkler Strom Menschen quoll heftig herein und füllte mit jähem Johlen und Toben die gewaltige Halle. Und mehr, immer mehr. Tausende schienen draußen noch zu warten und sie anzufeuern. Und trunkene Fackeln funkelten plötzlich hoch auf wie gierige Hände, und ihr irrer blutiger Schein fiel auf wilde, von blindem Eifer verzerrte Gesichter, aus denen die Augen heiß quollen wie sündige Begierden. Nun ahnte Esther erst dumpf die Absicht der finsteren Rotten, denen sie unterwegs begegnet war. Und schon knatterten die ersten Axtschläge nieder in das Holz der Kanzel, Bilder sausten zu Boden, Statuen knickten um, Flüche und Hohnworte wirbelten auf aus diesem dunklen Schwall, über dem die Fackeln unruhig tanzten, wie erschreckt von dem wahnwitzigen Gebaren. Wirr ergoß sich die Flut gegen den Hauptaltar, plündernd und vernichtend, schändend und entweihend. Hostien flatterten zu Boden nieder wie weiße Blüten, eine ewige Lampe sauste von wilder Faust geschleudert wie ein Meteor durch das Dunkel. Und immer mehr Gestalten drängten nach, die Fackeln flackerten häufiger und häufiger. Ein Bild fing Feuer und die Flamme leckte hoch auf wie eine züngelnde Schlange. Irgend einer hatte die Orgel gepackt; die irren Töne ihrer zerschmetterten Pfeifen schrieen gell und hilfesuchend durch das Dunkel. Und Gestalten tauchten auf wie aus wirren und wahnsinnigen Träumen. Ein toller Geselle mit einem blutigen Gesicht schmierte sich unter dem tierischen Jubel der andern die Stiefel mit dem heiligen Öle, zerlumpte Schelme stolzierten in reichbestickten Bischofstogen, eine kreischende Dirne trug in ihrem wirren schmutzigen Haar einer Statue goldenen Heiligenreif. Diebe tranken sich Wein zu aus den heiligen Gefäßen, und am großen Altar kämpften zwei mit blinkenden Messern um eine edelsteingeschmückte Monstranze. Dirnen tanzten geile und trunkene Tänze vor den Heiligtümern, Trunkene spieen in die Weihebecken, Zornige zerschmetterten mit ihren blinkenden Äxten, gleichgültig, was es traf, vor sich hin. Das Lärmen schwoll in ein Chaos polternder Laute und kreischender Stimmen; wie ein ekler und dichter Pestdunst qualmte das Toben empor zu den schwarzen Höhen, die finster auf das springende Leuchten der Fackeln herabblickten und unbeweglich, unerreichbar schienen für diesen verzweifelten Menschenhohn.
Esther hatte sich halb ohnmächtig in den Schatten des Altars versteckt. Ihr war, als müsse dies alles geträumt sein und plötzlich verschwinden, wie ein trügerischer Spuk. Aber schon stürmten die ersten Fackeln in die Seitengänge. Gestalten, die in fanatischer Leidenschaft bebten, wie im Rausche, sprangen über die Gitter oder zerhieben sie mit dröhnenden Streichen, stürzten die Statuen und rissen die Bilder von den Schreinen. Dolche blitzten wie feurige Schlangen im zuckenden Fackellicht und zerbissen zornig Schränke und Bilder, die mit zerschmetterten Rahmen zu Boden sausten. Näher und näher taumelte die Schar mit ihren qualmenden, zuckenden Leuchten. Esther blieb atemlos und preßte sich tiefer ins Dunkel. Ihr Herz hörte auf zu schlagen vor Angst und quälender Erwartung. Noch wußte sie nicht recht, die Geschehnisse zu deuten und fühlte nur Furcht, jähe unbändige Furcht. Ein paar Schritte kamen heran. Und ein stämmiger wüster Kerl zerhieb mit einem Schlage das Gitter.
Schon glaubte sie sich entdeckt. Aber erst im nächsten Augenblicke erkannte sie die
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