Stefan Zweig - Gesammelte Werke
sie beherrschen die Stadt. Sonst ist in großen Metropolen die zum Himmel aufragende Linie der alten Kirchen längst überhöht durch die Hochhäuser und modernen Bauten – nichts symbolischer vielleicht als jene alte Kirche bei der Wall Street in New York, die, einstmals die Straße beherrschend, sich ganz verschüchtert in den Schatten der Bankpaläste drückt. In Bahia aber beherrschen die Kirchen noch die Stadt. Sie stehen hoch und imposant auf ihren freien Plätzen, von ihren Klöstern und Gärten umringt, jede einem andern Schirmherrn geweiht, Franciscus, Benedictus oder Ignazius. Mit ihnen hat die Stadt begonnen; sie sind älter als der Palast des Gouverneurs und die vornehmen Häuser. Um sie hat sich die Niederlassung, Gottes Schutz in dem neuen Lande anflehend, geschart, und wenn die Seeleute, die nach Wochen und Wochen zwiefachen Blaus endlich Land erblickten, sahen sie als erstes die fromme Geste der hocherhobenen Türme. Und ihr erster dankbarer Weg ging für die Gnade der glücklichen Überfahrt ihrem Gotte zu danken.
Die mächtigste, nicht die schönste dieser Kirchen ist die Kathedrale, die sich an das alte Kolleg der Jesuiten lehnt, die Kirche der großen Erinnerungen, unter deren Fliesen Mem de Sê, der erste Gouverneur, begraben liegt, und von deren Kanzeln Padre António Vieira gepredigt. Sie ist die erste Brasiliens und wohl auch Südamerikas, deren Eingang mit echtem Marmor bedeckt ist; dieselben Schiffe, die Zucker aus Bahia frachteten, brachten auf der Rückreise den kostbaren Stein zurück. Denn nichts war diesen Männern des Glaubens zu kostbar für ihre Kirchen. Eng und düster, nieder und schmutzig starrten die Straßen, neun Zehntel der dunklen Bevölkerung hauste in Hütten und Mocambos. Aber die Kirche in diesem fernen Land, das keinen Luxus kannte, sollte alle Pracht haben; so brachte man die blauen Terrakotten, die azulejos , um die Wände zu schmücken, das Gold aus Minas Gerais hüllte das dunkle Holz in blendendes Licht. Und dann kam der Wettstreit der Orden. Hatten die Jesuiten eine weiträumige, pompöse Kirche, so wollten die Franziskaner eine noch schönere haben. Tatsächlich ist São Francisco noch reiner, weil schlichter in den Proportionen; welcher Zauber in seinen Klostergängen: die Wände mit Azulejos leuchtend, die Räume mit kostbarem Schnitzwerk aus Jacarandê geschmückt, die Decken getäfelt und in jeder Einzelheit das Walten eines besonnenen kultivierten Geschmacks! Aber auch die Karmeliter wollten ihre Kirche nicht minder schön und die Benediktiner, und dann kamen die Neger und wollten die ihre mit einer dunklen Madonna und dem Heiligen ihrer Farbe; so sind Kirchen und Klöster heute überall, kaum kann man eine größere Straße durchwandern, ohne auf eine zu stoßen, die nicht ihren antiquarischen Reiz hätte. Für jeden Gläubigen, der seine Andacht verrichten wollte, war in der einstigen Kolonie Raum zu jeder Stunde des Tags. Heute sind es dank jenes frommen Wettstreits sogar zuviel der Kirchen, um sie jemals gänzlich zu füllen und man brauchte Tage und Tage, um jede einzelne in all ihren Eigenheiten und Einzelheiten zu bewundern.
Diese Fülle der Kirchen (sie sind in den neueren Städten Brasiliens eher selten im Vergleich zu Europa) überraschte mich. Und ich fragte den freundlichen Geistlichen, der mich begleitete, ob Bahia noch immer wie einst die Stadt der Frömmigkeit sei. Er lächelte leise und sagte: »Ja, die Leute sind hier fromm. Aber sie sind es auf ihre Art.« Ich verstand zuerst nicht, was dies leise begleitende Lächeln meinte; es war nicht absprechend, nicht kritisch. Es deutete nur auf eine besondere Art der Frömmigkeit hin, die nicht ganz mit unserem Begriffe verbindbar ist, und die ich erst in den nächsten Tagen erkannte. Bahia ist von allen großen Städten Brasiliens die dunkelste; wie alles der Vergangenheit hat sie sich auch ihre alte Negerbevölkerung bewahrt und ist noch nicht in dem Maße wie die andern durch europäischen Zustrom aufgefärbt worden. Und die Neger sind seit Jahrhunderten die treuesten, die eifrigsten, die leidenschaftlichsten Anhänger der Kirche gewesen, nur daß die Form der Gläubigkeit auch innerlich bei ihnen einen anderen Farbton aufweist. Für diese naiveren, durch Denkarbeit nicht belasteten neugetauften Afrikaner bedeutete die Kirche nicht einen Ort der Innern Sammlung, des stillen Insichversenkens; am Katholizismus lockte sie die Pracht, das Geheimnisvolle, das Farbige, das Üppige des Ritus, und
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