Ciara
1. Tag, 7. Januar 2004
Auf der Stirn bildeten sich Schweißperlen, die sie fortzuwischen ersehnte, aber Panik lähmte ihren Körper. Sie versuchte, der Beschleunigung ihres Herzschlages entgegenzuwirken. Zu spät. Lauter werdende Piepstöne brachten der Person, deren Flüstern sie geweckt hatte, Bestätigung darüber, dass sie aufgewacht war. »Haben Sie keine Angst. Sie sind hier in Sicherheit.«
Tränen quollen unter Ciaras geschlossenen Augenlidern hervor. Sie lebte?
Die männliche Stimme, die sie noch vor einem Tag als angenehm bezeichnet hätte, redete sachte auf sie ein: »Mein Name ist Paul Philis, ich bin Arzt im Städtischen Klinikum. Ein Taxifahrer brachte Sie zu uns. Wie geht es Ihnen? Können Sie sprechen?« Er schien auf eine Antwort zu warten, doch Ciara gab sie ihm nicht.
»Die Polizei wartet draußen und will mit Ihnen reden.«
Ciara schüttelte den Kopf. Sie wollte mit niemandem sprechen.
»Ich verstehe das, aber die Polizei möchte Ihnen helfen.«
Sie schluckte mehrfach, ihr Hals fühlte sich trocken an. »Zu spät!«, krächzte sie.
»Ich weiß.« Die daraufhin entstehende kurze Pause deutete Ciara als Zeichen der Betroffenheit, aber die Gefühle des Arztes interessierten sie nicht. Nur der Gedanke an den Tod, daran, alles hinter sich zu lassen und irgendwo in einer anderen Welt neu anzufangen, spendete ihr Trost. Aber Dr. Philis schien Ciaras Wünsche nicht nachempfinden zu wollen.
»Leider werde ich die Beamten, die mir übrigens schon eine Weile auf die Nerven fallen, nicht davon überzeugen können, wieder zu gehen. Sprechen Sie mit ihnen, dann haben Sie es hinter sich.«
Ciara öffnete die Augen und bemerkte, wie der Arzt vor dem Misstrauen, das sich darin zeigen musste, zurückschreckte.
Er räusperte sich und wies mit einer Hand auf das Kissen neben ihr: »Ihr Frettchen ist übrigens auch hier.« Ciara drehte den Kopf vorsichtig zur Seite, was der Verband um ihren Hals erschwerte. Hinter dem Nebel, der ihren Geist umwölkte, erzeugt von einer geringen Dosis Morphium oder einem ähnlichen Sedativum, existierten Schmerzen und grausame Bilder, die sich langsam in ihr Bewusstsein drängten.
Tatsächlich, da lag es, das grauschwarze Frettchen, das sie kurz nach Mitternacht an ihrem Geburtstag vor der Tür entdeckt hatte. Beim Anblick des Tieres echote das Kreischen ihres Peinigers in den Ohren, als sich der kleine Iltis in dessen Hals festgebissen und ein Stück Fleisch herausgerissen hatte – so wie der Unbekannte zuvor bei ihr. Das Frettchen musste ihr Leben gerettet haben, aber Ciara wusste nicht, ob sie darüber glücklich sein sollte.
»Es ließ sich nicht von Ihnen trennen. Es hat die Sanitäter und zwei Krankenschwestern gebissen – und mich.« Dabei hielt der Arzt den verbundenen Daumen der rechten Hand hoch. »Darum habe ich beschlossen, es bei Ihnen zu lassen, was zwar der Oberschwester nicht gefiel, aber …«
»Welcher Tag ist heute?«, unterbrach ihn Ciara.
»Wir haben den siebten Januar. Sie haben nur wenige Stunden geschlafen.«
»Schicken Sie die Polizisten rein«, Ciara strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, »und danach möchte ich nach Hause gehen.«
Zwei in Zivil gekleidete Beamtinnen betraten das Krankenzimmer. Die untersetzte Brünette nickte Ciara zu, blieb aber neben der Tür stehen und studierte das Gerät, welches Ciaras Herz- und Pulswerte aufzeichnete. Die Jüngere der beiden, eine sportlich aussehende Polizistin mit kurzen schwarzen Haaren und ernst dreinschauenden braunen Augen, zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich. »Frau Duchas. Mein Name ist Marina Bonito. Das ist«, sie deutete auf ihre Kollegin, »Sabrina Breuer. Schön, dass Sie bereit sind, uns einige Fragen zu beantworten. Wie geht es Ihnen?«
Ciara stierte regungslos an die weiß gestrichene Decke, auf der Suche nach einem Schlupfloch, durch das sie flüchten konnte. Fort, nur fort von Erinnerungen, Empfindungen und Fragen – den bohrenden Fragen der Polizei. Wut, Hass und Ekel begannen in ihr zu brodeln, doch ehe die Gefühle aus ihr herausbrechen konnten, seufzte sie qualvoll. Die Polizistinnen wechselten einen erschrockenen Blick.
Hysterie schwang in Ciaras Stimme mit, als sie antwortete: »Wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihnen jemand ein Messer in die Seite drückt und dann mit einem Dolch Ihr Jungfernhäutchen durchsticht?« Ciaras Puls raste, die Brust hob und senkte sich hektisch. »Und als wäre das nicht genug, vergewaltigt er Sie und reißt Ihnen mit
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