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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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zu Füßen des Pfühles. Riesengroß stehen die Schatten der Wachenden an der Wand. Es ist ganz still. Man hört aus dem Hofe jetzt das leise plätschernde Rauschen eines Springbrunnens. Sonst ist alles wie erstorben. Die beiden rühren sich nicht. Die Zeit fließt stumm weiter.)
    ZEDEKIA (plötzlich wild aufspringend und sie anfahrend):
    Was flüstert ihr miteinander? Habe ich nicht Stille befohlen?
    SCHWERTTRÄGER (erschrocken):
    Wir sprachen nichts, mein König.
    ZEDEKIA:
    Aber es spricht jemand! Wer dringt in meinen Schlaf, wer frißt an meinem Schlummer? Sie sollen schlafen jetzt alle, alle, damit ich schlafen kann! Ist jemand noch wach in den Nebengemächern?
    SCHWERTTRÄGER:
    Niemand, mein König. Niemand ist wach mehr im Hause.
    ZEDEKIA:
    Niemand ist wach mehr, nur ich, nur ich! Warum auf mich alle Last, die Mauern der Stadt und die Türme der Sorgen? Wein, gib mir Wein!
    (SCHWERTTRÄGER gibt ihm wieder den Becher, Zedekia stürzt ihn hastig hinab und schleudert ihn weg. Er stöhnt und legt sich wieder auf das Ruhebett. Wieder wird es ganz still. Wieder hört man durch die Stille das Rauschen des fernen Springbrunnens. Es ist ein leises Tönen davon in der Luft, einlullend und geisterhaft. Reglos stehen die Schatten der beiden Wächter, dunkel im Dunkel. Wieder rinnt Zeit vorbei.)
    ZEDEKIA (der reglos gelegen, richtet sich im Dunkel ganz leise auf. Wie ein Tier im Ansprang, krümmt sich sein Körper in der Anstrengung des Lauschens, er krampft sich immer mehr zusammen, und plötzlich schreit er heftig):
    Es spricht! Es spricht! Es spricht hier von irgendwo. Ich höre eine Stimme, ich höre, ich höre sie. Und es soll niemand jetzt reden in meinem Haus. Wie Gesang tönt es her, es soll niemand jetzt singen in meinem Haus. Hört ihr es, hört ihr es nicht?
    SCHWERTTRÄGER:
    Ich höre nichts, mein König!
    NEHEMIA:
    Nichts habe ich vernommen…
    ZEDEKIA (sieht beide starr an, dann krümmt er sich wieder auf seinem Lager zusammen, horcht und plötzlich wieder losbrechend):
    Und doch! Es spricht! Es spricht! Es spricht ohne Ende! Hieher, Schwertträger, hier, unter meinem Ohr. Wie ein Maulwurf wühlt es im Schwarzen meines Schlafes und frißt meine Ruhe. Hörst du, hörst du es nicht?
    SCHWERTTRÄGER (lauscht. Es ist einen Augenblick ganz still. Dann schaudernd):
    Ich höre eine Stimme. Aus der Tiefe dringt sie empor!
    ZEDEKIA:
    Ah, du hörst sie auch!
    SCHWERTTRÄGER (schaudernd):
    Es tönt wie Gesang. Die Geister der Tiefe sind wach unter dem Haus. Es klagt und stöhnt wie ein gefesseltes Tier.
    NEHEMIA:
    Vielleicht ist es Wind, in eine Spalte verfangen?
    ZEDEKIA:
    Nein, Worte sind es, ich fühle sie, ohne sie zu fassen. Wer singt hier nachts in meinem Haus? Ist den Sklaven so wohl, daß sie singen, indes ich, der König, hier liege mit brennenden Lidern? Geh, Joab, und mache ihn stumm.
    (SCHWERTTRÄGER eilends ab.)
    ZEDEKIA (bleibt gekrümmt horchend. Er scheint etwas zu hören, denn er hebt den Kopf, dann beugt er sich wieder horchend nieder. Plötzlich hört man drei dumpfe Schläge. Der König horcht gierig. Dann aufatmend):
    Gott sei gedankt. Es schweigt! Es ist stumm! Er hat es stumm gemacht!
    (SCHWERTTRÄGER erscheint wieder an der Tür. Er blickt verstört.)
    ZEDEKIA:
    Wer war es, der da sprach?
    SCHWERTTRÄGER (zitternd):
    Ich weiß es nicht, Herr. Ich bin ihm nicht genaht. Wie ich niederstieg zur Halle, hörte ich stärker das Singen, aus der Tiefe der Erde schien es zu kommen, und grauenhaft tönten die Worte. Ich ging nach, wo sie tönten, und fand doch keinen, der sang in der Halle, immer war es tiefer als ich, immer tiefer, wie aus einem Brunnen klang es empor oder einer Grube. Und ich hörte seine Worte, die waren fürchterlich. Dreimal stieß ich den Speer auf die Erde. Und da schwieg die Gehenna.
    ZEDEKIA:
    Was tönte die Stimme?
    SCHWERTTRÄGER (schaudernd):
    Ich… ich kann es nicht sagen!
    ZEDEKIA:
    Ich befehle dir: sage die Worte!
    SCHWERTTRÄGER:
    Lästerung war es, mein König, die aufströmte vom Brunnen.
    ZEDEKIA:
    Was waren die Worte? Bei meinem Zorn!
    SCHWERTTRÄGER (schaudernd. Seine Stimme wird psalmodierend im Gesang):
    So sang es von der Tiefe:
Ich habe mein Haus verlassen müssen
Und mein Erbe meiden,
Und was meine Seele liebet, in der Feinde Hand geben.
Meine Augen fließen mit Tränen Tag und Nacht
Und hören nicht auf,
Denn die Jungfrau, die Tochter meines Volks,
Ist greulich zerplagt.
    ZEDEKIA (aufschreiend):
    Jeremias! Er, immer er!
    SCHWERTTRÄGER (wie begeistert

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