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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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weitersingend):
    Wehe, wie hat der Herr die Tochter Zion
Mit seinem Zorn überschüttet!
Er hat die Herrlichkeit Israels
Vom Himmel auf die Erde geworfen,
Er hat die Mauer seiner Paläste
In des Feindes Hände gegeben,
Daß sie im Hause des Herrn geschrien haben
Wie an einem Fest.
Er hat…
    ZEDEKIA (ausbrechend):
    Schweig still! Schweig still! Ich will es nicht hören. Ich will nicht! Immer er, immer er! Auf jeden Kreuzweg ist er gestellt, da ich schreite, hinter meinen Taten rennen seine Rufe, in meine Träume drängt er sich ein und füttert meinen Zwiespalt. Wie ihm entrinnen, dem Schatten, dem fürchterlichen? Aus der Grube noch schreit er zu mir! Wie ihm entfliehen, der mich verfolgt, wie ihm entgehen, der allerorts ist? Wer befreit mich von ihm…
    SCHWERTTRÄGER:
    Herr, ist es dein Feind, so… (Er macht eine Bewegung.)
    ZEDEKIA (aufgeschreckt aus seinem Zorn, starrt ihn fassungslos an. Dann in erwachendem Stolz):
    Du meinst… Nein, ich fürchte ihn nicht. Ich fürchte niemanden. Und ich weiß nicht, ob er mein Feind ist. Vielleicht war es töricht, vor ihm zu flüchten… Vielleicht… (Er geht unruhig auf und ab): Schwertträger!
    SCHWERTTRÄGER:
    Mein König?
    ZEDEKIA:
    Geh hinab und schließe auf die Düngergrube. Nimm mit deinen Bruder Nehemia, und bringet den Mann aus der Tiefe vor mich her. Geheim muß er gebracht werden und im geheimen wieder hinab.
    (DER SCHWERTTRÄGER und sein Bruder eilig ab.)
    ZEDEKIA (allein. Er spricht halblaut vor sich hin):
    An jedem Kreuzweg hinter meinem Rücken und immer zu spät, und immer muß ich ihn hören. Warum rief ich nur Gott, der mir schweigt, und nicht alle, die sagen, daß er rede durch sie? Aber warum reden sie einer gegen den andern und widersprechen sich, wie ja dem nein? Wie sie erkennen, wie scheiden das Falsche vom Wahren? Furchtbar, furchtbar dieser Gott, der immer nur schweigt und dessen Boten keiner erfaßt!
    (JEREMIAS erscheint, begleitet vom Schwertträger, der auf eine Gebärde Zedekias sofort den Raum verläßt. Sein Antlitz ist fahl und abgemagert, schwarz wie aus einem Totenschädel schauen die Augen aus einem weißen, knöchernen Gesicht. Er blickt den König ruhig forschend an.)
    ZEDEKIA (nach einer kurzen Betretenheit):
    Ich habe dich rufen lassen, Jeremia. Warum störst du meine Ruhe? Was singst du des Nachts, da alle schlafen, und schläfst nicht auch?
    JEREMIAS:
    Dem, der da wachen soll über das Volk, ist kein Schlafen verstattet, und zum Wächter bin ich gesetzt und zum Warner.
    ZEDEKIA:
    Wahr sprichst du, Jeremias, nicht ist jetzt Zeit zu ruhen in Jerusalem, und bei Gott, ich habe nicht geruht. Ratschluß habe ich gehalten mit den Dienern meiner Krone, aber nicht ward still meine Seele daran. Die Freunde habe ich vernommen, die meines Sinnes sind, doch noch verlangt es mich, den zu vernehmen, der wider mich ist in Jerusalem.
    JEREMIAS:
    Nie ward mein Herz wider dich, mein König, nur meine Rede wider dein Tun.
    ZEDEKIA:
    Und nie war ich dir feind, sei des eingedenk in dieser Stunde! Wenn ich dich verschloß, so war es, dich zu retten vor deinen Widersachern. Heilig war mir dein Haupt um deiner Kühnheit willen. Doch nun sprich zu mir nicht, wie du am Markte sprichst, sondern in deiner Seele und vor Gottes Ohr. Nahe bist du vielleicht deinem Ende, und die Bücher sagen, daß Worte wahr sind im Antlitz des Todes.
    JEREMIAS:
    Nicht näher bin ich dem Tode, Zedekia, als du selbst. Auf einem Blatte des dunklen Buches ist unsere Stunde gezeichnet.
    ZEDEKIA:
    Ich bin nicht dein Feind: möge sie dir ferne sein!
    JEREMIAS:
    Zweimal habe ich gesprochen zu dir, Zedekia, König von Israel, doch nur deinen Rücken traf meine Rede, und vor dir lief schon die Tat. Nun spreche ich in dein Antlitz und frage dich, was begehrst du von mir?
    ZEDEKIA:
    Viel ist von den Dingen wahr geworden, Jeremias, die du geweissagt, und deine Stimme ward stärker in meiner Seele. Nabukadnezar ist gekommen von Mitternacht mit Rossen und Wagen, wie du gesehen im Traum, und gürtet die Stadt. Nichts ist ihm gelungen bislang, doch mächtig hilft ihm die Zeit. Ein Geheimnis will ich dir künden. Karg wird in den Mauern das Brot.
    JEREMIAS:
    Ich weiß es, Herr.
    ZEDEKIA:
    Wie kannst du es wissen? Keiner hat die Säcke gezählt, als Nachum, der Hüter. Wie gibst du vor, es zu wissen, der du beim Dünger liegst unter der Erde?
    JEREMIAS:
    Das Brot ist kleiner geworden und kleiner, das sie mir in die Grube reichen, kaum deckt mirs die Spanne der Hand. Und ich höre die Hunde

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