Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Tore seiner Gnade. Gehe hin und eile, denn es drängt mich, bald vor die Tür meines Hauses zu treten und es dem Volke zu sagen das köstliche Wort: Friede.
BARUCH (unruhig, leise):
Ich höre, mein König. Doch eines noch hieß der König mich melden, eines noch heischt er von uns.
ABIMELECH (auffahrend):
Noch mehr? Genügt ihm noch nicht diese Schmach?
BARUCH:
Ein Geringes nur nannte er es. Doch mich dünkt es groß.
ZEDEKIA:
Was fordert sein Stolz noch mehr?
BARUCH:
Er sprach: »Ich will nehmen das Joch vom Nacken des Königs und die Krone wieder legen auf sein Haupt. Und er möge zu meiner Linken gehn, damit man erkenne, daß ich ihn ehre als meiner Krone Geschwister und Kind. Aber noch einer ist in euern Mauern, von dem die Völker sagen, daß er mächtiger sei denn alle, und diesen verlangt es mich, zu sehn. Sie sagen, ein Gott sei in euern Mauern, dessen Blick ihr berget vor den Menschen hinter zeltenen Wänden und den keiner ertrüge zu schauen. Aber fremd ist mir Furcht, und ich will vor ihn treten, daß ich ihn kenne. Ich werde nicht rühren an seinen Altar, nicht fassen nach seinem Brote, nicht gieren nach seinen Schätzen. Einlaß nur heische ich von euch, denn es lüstet mich, den zu kennen, der gewaltiger wäre als ich.« So sagte Nabukadnezar.
PASHUR:
Niemals! Niemals!
HANANJA:
Die Flamme des Herrn möge ihn fressen, den Frevler!
PASHUR:
Lieber in Staub den Tempel als entweiht!
IMRE (bestürzt):
Das Allerheiligste heischt er zu sehen! Furchtbar ist das Verlangen!
PASHUR:
Frevel ist es und heidnischer Hochmut! Sende heim den Boten, mein König, sende ihn heim!
HANANJA:
Sende ihn heim! Nie darf dieses geschehen!
NACHUM:
Übereile nichts, mein König. Wir sind entboten, eines Volkes Wohl zu erwägen.
ABIMELECH:
Tausend Tode lieber als diese Schmach.
PASHUR:
Und ich sterbe mit euch! In eurer Mitte, ihr Krieger!
HANANJA (wild):
Sende ihn heim, König. Lieber Tod als diese Schmach!
IMRE:
Wie ihr doch redet vom Sterben! Wie leicht werft ihr das Wort! Siebenzigtausend tötet euer Trotz, bedenket es, ihr Eilfertigen!
PASHUR:
Willst du es preisgeben, Gottes Heiligtum?
IMRE:
Auch das Leben ist ein Heiligtum von Gott, Gott selbst ist das Leben. Warum überhebst du dich, Gottes Anwalt zu sein?
HANANJA:
Es wäre Schmach ohne Ende und Triumph vor den Heiden, ginge er hin und sagete: Ich habe Jahwes Antlitz gesehn.
NACHUM:
Mögen sie jauchzen, unsere Feinde, möge vergehen unser Stolz. Doch die Stadt möge überdauern unsern Stolz und unser Leben. König, mein König, errette Jerusalem!
HANANJA:
Nein! Sende ihn heim! Sprich das Wort! Sprich das Wort!
ZEDEKIA:
Ich bin die Hand nur, die wägt. Mein eigen Herz halte ich nieder. Eilet, entscheidet, zählet die Stimmen! Zählet und eilet, daß ein Ende sei im Bösen oder im Guten.
IMRE:
Der Älteste bin ich und sage: man erfülle Nabukadnezars Gebot.
HANANJA:
Man erfülle es nicht. Gott wird uns helfen.
PASHUR:
Ich schachere nicht um Gottes Antlitz. Niemalens diesen Frevel!
NACHUM:
Gottes Stadt für ewig. Man sende den Boten.
ZEDEKIA:
Und du, Abimelech?
ABIMELECH:
Nicht dein Berater bin ich, mein König, dein Diener bin ich und dein Schwert. Bei ja und nein, in Leben und Tod steh ich zu dir.
ZEDEKIA:
Zwei Stimmen gegen zwei und in mir selbst sind zwei Stimmen! Widerstreit um mich und Widerstreit in mir! Wie soll ich entscheiden? Weggestoßen habe ich meinen Willen und euch zugeworfen, doch wie das Meer schleudert ihr ihn mir zurück und schauernd halte ich ihn in Händen. Muß ich selbst sie werfen, die Würfel, die fürchterlichen?
PASHUR:
Gott wird dich erleuchten!
ZEDEKIA:
Daß er doch spräche zu mir! Oh, selig die Ahnen, denen er sich noch auftat im Gewölk! Ich habe ausgereckt meine Hände nach ihm und mein Herz, doch verschlossen sind mir seine Himmel. Im Dunkel tappe ich, und meine Hände greifen nur Ungewisses. Betet für mich, daß ich das Rechte finde!
NACHUM:
Unsere Liebe ist mit dir, mein König!
ZEDEKIA:
Die Sterne werden blaß, und ehe die Nacht sich wendet, muß ich ja sagen oder nein, und vielleicht ist nein ja und ja ist nein. Möge Gott mich erleuchten. (Er steht auf, alle erheben sich.) Lasset mich allein! Euer Zwiespalt mehrt nur den meinen. Ich werde entscheiden, wie mein Herz mir sagt, und vielleicht, ehe ihr heimkehret, ist der Spruch gefallen; wie in Kindesnot die Gebärerin, krümmt sich mein Herz, daß es das Rechte gestalte. Betet, ihr Freunde, betet, daß ich das Rechte erwäge
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