Stefan Zweig - Gesammelte Werke
Gottes irdische Rast? Lieber in deine Erde versargt sein, als hingehen über andere Scholle, lieber ein Toter mit meinen Vätern, denn ein Knecht unter Fremden. Jerusalem, Jerusalem, Jerusalem, nimm mich in deine Erde, mein Leben warst du, sei auch mein Tod!
ZEFANJA:
Ich scheide mich von dir. Ich will nicht sterben! Zu viel der Toten habe ich gesehn in den Straßen, ihre Augen standen starr in den Himmel der Stadt, ihre Fäuste waren gekrampft in Israels Erde, aber es war kein Friede in ihrem Gesicht. Ich will leiden ohne Maß, aber ich will leben. Mögen sie mich hämmern in die Bergwerke von Tyr, wo das Wasser tropft, daß der Bart fault und die Augen blinden, mögen sie mich schmieden mit krummem Rücken in den Ring ihrer Ruderschiffe, mögen sie mich verschneiden ihren Göttern und verstümmeln, jedes Glied in mir schreit noch um Leben zu Gott. Jeden Tag will ich segnen aus Ketten und Qual, oh, nur nicht tot sein, nicht tot sein!
DER KRANKE (sich aufrichtend):
Ja, nur leben, nur ein Sandkorn Zeit noch zwischen den Fingern fühlen! Nur noch sehn die kleinen Blüten der Mandeln, die sich weiß auftun über Nacht, und den Mond, wie er schmilzt und sich rundet unter den Sternen. Oh, nichts genießen mehr, verkrümmt sein und vertaubt, aber noch schauen die seligen Dinge der Welt und die Luft einziehen im Munde. Nur sein eigen Herz spüren, wie es schlägt und die Ader warm läuft an den Händen! Leben, oh, leben, nur leben!
DER ÄLTESTE:
Schmach über euch, Weichlinge! Wollt ihr leben ohne Gott? Wollt ihr ihn rücklings lassen in Schutt und Schande?
EIN MANN:
Er geht mit uns, wie er ging durch die Wüste.
EINE FRAU:
Wir wollen seiner gedenken im Gebet.
DER ÄLTESTE:
Wo wollt ihr beten, wenn nicht an seinem Altar? Abtrünnige seid ihr und Verräter. Wollt ihr knien vor Bel und opfern vor Astaroth? Lebe, wer leben will ohne ihn. Ich bleibe ihm getreu.
EIN MANN:
Ein neues Haus wollen wir ihm bauen.
DER ÄLTESTE:
Dieses hat er gewählt. Hier ist er allein.
STIMMEN:
Er wandert mit uns… überall spricht er zu uns… auch aus dem Golus wird er uns hören… auch dort werden wir gläubig sein… unter allen Himmeln ist sein Wort, sein Antlitz überschattet alle Wege…
DER ÄLTESTE:
Nein, wer Jerusalem lässet, verläßt auch Gott. Hier ist Jahwes Haus, hier ist er allein. Götzendienst ist jedes Opfer als an seinem Altar.
STIMMEN (widerstreitend):
Nein… überall ist er… hier ist er allein… überall… allerorts ist er… er wird sich uns weisen an jeder Stätte… nur im Tempel ist sein Haus… überall ist er… überall… nur hier ist sein Antlitz…
JEREMIAS (plötzlich sich aufraffend, mit furchtbarem Ausbruch):
Nirgends ist er! Nirgends! Wer hat ihn gesehn von den Lebendigen, wer gehört seine Stimme? Nirgends ist er! Nirgends! Ins Leere starren, die ihn suchen, und die ihn bezeugten, sind Lügner geworden vor der Menschheit Gesicht. Nirgends ist Gott, in den Himmeln nicht und auf der Erde und in den Seelen der Menschen nicht! Nirgends, nirgends ist er!
DER ÄLTESTE (ganz erstarrt mit offenem Munde. Endlich mit den Händen aufzuckend zum Himmel fahrend):
Lästerung! Lästerung! Fahre nieder auf ihn mit deinen Blitzen!
JEREMIAS (immer heißer):
Wer hat ihn gelästert, wenn nicht er selbst? Zerbrochen hat er seinen Bund, verleugnet seine Schwüre, zerschmissen seine Mauern und verbrannt sein eigen Haus. Er selbst verneinet sich, er selbst ist Gottes Lästerer, er, nur er!
DER ÄLTESTE:
Hört nicht auf ihn! Hört nicht auf ihn! Ein Abgefallener ist er, ein Ausgestoßener, hört nicht auf ihn, ihr Diener des Allmächtigen!
JEREMIAS (immer mehr sich entzündend):
Wer hat ihm gedient wie ich in Israel, wer war sein Knecht so treuselig wie ich in Jerusalems Mauern? Ich habe mein Haus gelassen um seinetwillen im Hasse und meine Mutter im Tode, Freunde habe ich geopfert seiner Liebe und der Frauen Süße seiner Eifersucht! Seinem Willen habe ich mich aufgetan wie ein Weib dem Manne. Das Wort zwischen meinen Zähnen war sein, und das Blut in meinem Leibe, jeder Gedanke war seines Willens Kind und die Träume hinter meinem Schlaf. Ich habe meinen Rücken geboten, die mich schlugen, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Hohn und Speichel. Und ich habe gedient, ich habe gedient, weil ich meinte, daß er wenden werde das Unheil durch mich; ich habe geflucht, weil ich meinte, er werde es zum Segen kehren; ich habe gekündet, weil ich meinte, er werde mich zum Lügner machen und werde retten
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