Stefan Zweig - Gesammelte Werke
rann durch alle Glieder wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf beinahe mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze. Einen Augenblick noch – und dann dehnte sie sich im Bette…
Wie ein hurtiges Schattenspiel tanzten noch einmal die seligen Erinnerungen des Tages vorbei. Sie war heute bei ihm gewesen… Gemeinsam hatten sie wieder geprobt zu ihrem Konzert, wo ihr Spiel seine Geige begleiten sollte. Und dann spielte er ihr vor – Chopin, die Ballade ohne Worte. Und dann die sanften lieben Worte, die er ihr sagte, die vielen lieben Worte!
Die Bilder eilten immer rascher vorbei, sie führten sie wieder nach Hause zu sich selbst, um rasch wieder hinwegzuirren in die Vergangenheit, zu dem Tag, da sie ihn zuerst kennen gelernt hatte. Und bald stürmten sie heraus über die Enge der Zeit und des Erlebens und wurden immer wilder und bunter. Noch hörte Erika, wie ihre Schwester nebenan zu Bette ging. Und ein toller merkwürdiger Gedanke kam ihr, ob er sie wohl auch zu sich gebeten hätte. Ein frohes übermütiges Lächeln wollte sich noch matt auf ihre Lippen schleichen, aber sie war schon zu schlaftrunken. Und einige Minuten später trug sie ein sicherer Schlaf zu seligen Träumen.
Beim Erwachen fand sie eine Ansichtskarte auf dem Bette. Nur ein paar Worte waren darauf, mit fester energischer Schrift hingeworfen, Worte, wie man sie auch an Fremde verschenkt. Aber Erika empfand sie als Gabe und Glück, weil er sie geschrieben hatte; ihr war es gegeben, aus dem Geringfügigen und Unscheinbaren die Ahnungen der wirklichen Fülle sich zu erschließen. Und so sollte ihr diese Liebe nicht nur wie ein milder Glanz werden, der jedes Wesen umleuchtet und erhellt, sondern so tief sollte dieses verklärende Gefühl sich verlieren, daß es wie ein Schimmer wurde, der in innigem Durchglühen von innen emporzuwachsen schien aus allem Leblosen und Unbeseelten. Schon von früher Jugend auf hatte das dunkle Gefühl ihres Ängstlichseins und ihrer zurückhaltenden Einsamkeit sie gelehrt, die Dinge nicht als kalt und leblos zu betrachten, sondern als verschwiegene Freunde, die Geheimnisse und Zärtlichkeiten dem anvertrauen, der auf sie hört. Bücher und Bilder, Landschaften und Musikstücke sprachen zu ihr, der das dichterhafte Vermögen des Kindes geblieben war, in bemalten Körpern, unbeseelten Dingen frohbewegte bunte Wirklichkeit zu sehen. Und das waren ihre einsamen Feste und Seligkeiten, ehe die Liebe zu ihr gekommen war.
So wurden ihr auch die wenigen schwarzen Schriftzüge auf dem Blatte Ereignis. Sie las die Worte so wie er sie zu sprechen pflegte, mit der weichen und musikalischen Betonung seiner Stimme, sie suchte in ihren Namen den heimlich-süßen Reiz zu legen, den nur die Sprache der Zärtlichkeit geben kann. Und sie horchte in den wenigen Sätzen, die ihrer Angehörigen wegen in kühler, fast respektvoller Form gehalten waren, den verborgen klingenden Unterton der Liebe und buchstabierte sich so langsam und traumverloren durch die Zeilen, daß sie beinahe ihren Inhalt wieder vergessen hätte. Und der war nicht so unwichtig. Sie möchte ihm doch mitteilen, ob ihr geplanter Sonntagsausflug zustande käme. Und noch ein paar unwichtige Worte wegen ihres gemeinsamen Auftretens in einem längst besprochenen Konzert. Dann ein freundlicher Gruß und eine hastige Unterschrift. Aber sie las die Zeilen immer wieder und wieder, weil sie in ihnen die starke und drängende Empfindung zu hören glaubte, die doch nur der Widerklang ihrer eigenen war.
Es war noch nicht lange her, daß diese Liebe zu Erika Ewald gekommen war und den ersten Glanz in ihr blasses gleichgültiges Mädchenleben getragen hatte. Und ihre Geschichte war still und alltäglich.
In einer Gesellschaft hatten sie sich kennen gelernt. Sie gab dort Klavierstunden, aber ihre diskrete und feine Art gewann ihr so sehr die Liebe des ganzen Hauses, daß sie nur mehr als Freundin betrachtet wurde. Und er war dort zu einer Veranstaltung geladen, sozusagen als pièce de résistance , denn sein Ruf als Geigenvirtuose war trotz seiner Jugend ein ganz ungewöhnlicher.
Die Umstände erwiesen sich selbst als bereitwillig, um ihre Verständigung zu unterstützen. Er wurde gebeten zu spielen, und es ergab sich als fast selbstverständlich, daß sie die Begleitung übernehmen sollte. Und da wurde er zuerst auf sie aufmerksam, denn sie ging mit soviel Verständnis auf seine Intentionen ein, daß er sogleich die
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