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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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werden und in wertlose Scherben zu zerbrechen.
     
    Am Samstag abend vor dem Ausfluge besuchte sie ihn wieder. Als sie anklopfte, fühlte sie wieder jene merkwürdige Bangigkeit wie immer, wenn sie zu ihm ging, und die sich immer mehr steigerte, bis er selbst mit ihr war. Aber sie mußte nicht lange warten. Er öffnete rasch, geleitete sie in sein Studienzimmer, nahm ihr mit vorsichtiger Galanterie die Frühlingsjacke ab und streifte respektvoll mit den Lippen ihre schöne feingeäderte Hand. Und dann setzten sie sich zusammen auf ein kleines dunkles Samtsofa, das bei seinem Schreibtisch stand.
    Es war schon düster im Zimmer. Draußen am Himmel verfolgten sich graue Wolken hastig im Abendwind, und ihre Schatten trübten unruhig das matte Dämmerlicht. Er fragte, ob er anzünden solle. Sie verneinte. Das matte süße Licht, das nicht mehr erkennen und nur ahnen läßt, war ihr so lieb mit seiner sanften Melancholie. Sie saß ganz still. Man konnte noch die geschmackvolle Einrichtung des Zimmers deutlich wahrnehmen, den prächtigen Schreibtisch mit einer Bronzestatue, rechts einen geschnitzten Geigenständer, dessen Silhouette sich scharf von dem grauen Stück Himmel abhob, das durch die Scheiben gleichgültig hereinblickte. Irgendwo tickte eine Uhr mit schwerem abgemessenem Schlag, als sei es der harte Schritt der mitleidslosen Zeit. Sonst war es still. Nur ein paar bläuliche Rauchstreifen von seiner vergessenen Zigarette stiegen ebenmäßig in das Dunkel. Und durch das geöffnete Fenster kam ein lauer Frühlingswind zu ihnen herein.
    Sie plauderten. Zuerst war es ein Lächeln und Erzählen, aber ihre Worte wurden immer schwerer im drohenden Dunkel. Er sprach von einer neuen Komposition, einem Liebeslied, das sich an ein paar schlichte wehmütige Volksliedstrophen anschmiegte, die er einmal in einem Dorfe gehört hatte. Ein paar Mädchen waren es gewesen, die von der Arbeit kamen, ihre Stimmen klangen weit von ferne, daß er die Worte nicht mehr verstand und nur die leise, schweratmende Sehnsucht der Weise hörte. Und gestern war die Melodie wieder in ihm erwacht, spät am Abend und war ihm ein Lied geworden.
    Sie sagte nichts, sondern sah ihn nur an. Und er verstand ihre Bitte. Schweigend trat er zum Fenster hin und nahm seine Geige. Ganz leise begann sein Lied.
    Hinter ihm ward es langsam wieder hell. Die Abendwolken waren in Brand geraten und glühten in purpurnem Glanz. Das Zimmer begann widerzuleuchten von dem hellen Schein, der allmählich düsterer und gesättigter wurde.
    Er spielte das einsame Lied mit wundervoller Gewalt, er verlor sich selbst in seinen Tönen. Und er verlor sein Lied und behielt nur die unendlich sehnsüchtige fremde Volksmelodie, die in allen seinen Variationen immer wieder dasselbe stammelte, weinte und jauchzte. Er dachte an nichts mehr, seine Gedanken waren fern und verwirrt, nur das strömende Gefühl seiner Seele formte mehr die Töne und gab sich ihnen zu eigen. Das enge dunkle Zimmer überflutete von Schönheit… Die roten Wolken waren schon schwere, schwarze Schatten geworden, und er spielte noch immer. Längst hatte er schon vergessen, daß er dieses Lied nur ihr als Huldigung spielte; seine ganze Leidenschaft, die Liebe zu allen Frauen der Welt, zum Inbegriff des Schönen wachte in den Saiten auf, die in seliger Inbrunst erschauerten. Immer wieder fand er eine neue Steigerung und eine wildere Gewalt, aber nie die verklärende Erfüllung, es blieb auch im rasendsten Aufschwung immer nur Sehnsucht, stöhnende und jauchzende Sehnsucht. Und er spielte immer weiter, wie einem bestimmten Akkord zu, einer abschließenden Auflösung entgegen, die er nicht finden konnte.
    Plötzlich brach er jählings ab… Erika war mit einem dumpfen hysterischen Schluchzen auf dem Sofa zusammengebrochen, von dem sie sich in ihrer Ekstase erhoben hatte, wie angelockt von den Tönen. Ihre schwachen reizbaren Nerven unterlagen stets dem Zauber einer Gefühlsmusik; sie konnte weinen bei wehmütigen Melodien. Und dieses Lied mit seiner drängenden, aufpeitschenden Erwartung hatte in ihr alle Gefühle erregt, ihre Nerven in eine furchtbare atemlose Spannung versetzt. Wie einen Schmerz empfand sie die Wucht dieser niedergehaltenen Sehnsucht, sie hatte ein Gefühl, als ob sie aufschreien müßte unter dieser engenden Qual, aber sie vermochte es nicht. Nur in einem jähen Weinkrampfe löste sich ihre gesteigerte physische Erregung.
    Er kniete bei ihr nieder und suchte sie zu beruhigen. Er küßte ihr leise

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