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Sterblich

Sterblich

Titel: Sterblich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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hierhergefahren?«
    »Um Rache zu nehmen. Auf meine Weise.«
    »Aber wie haben Sie Yngve dazu überreden können, mit Ihnen zu gehen?«
    »Ich habe ihm gesagt, ich müsse an diesen Platz, in das Zelt, weil ich sonst nie verstehen würde, was mein Sohn getan hat. Das war nicht bloß ein Vorwand, um ihn hierherzulocken. Ich brauchte das wirklich. Finden Sie, dass sich das seltsam anhört?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Jetzt, wo ich hier stehe, fühltes sich auf jeden Fall seltsam an. Aber nun kann ich mir vorstellen, wie Stefan sich gefühlt hat. Ich glaube, ich spüre den gleichen Hass. Und als Mutter freut man sich über so eine Übereinstimmung, man ist dankbar.«
    Er will etwas sagen, sieht aber, wie ihre Miene schlagartig Verachtung und Wut ausdrückt, und noch bevor er reagieren und sich auf sie stürzen kann, hat sie einen der Steine hochgehoben und auf Yngve geworfen. Sie trifft ihn an der Schulter. Er zuckt zusammen und wird wach. Seine Augen öffnen sich langsam, aber er steckt zu tief in dem Loch, um sich bewegen zu können. Sein Blick fällt erst auf Ingvild, dann auf Henning, ehe er erkennt, in welcher Situation er sich befindet und was hier vor sich geht. Er versucht, die Arme zu heben, um sich zu verteidigen, aber sie stecken im Boden fest. Ingvild hebt den nächsten Stein.
    »Warte, Ingvild, nicht …«
    Yngve ruft, und Henning bewegt sich einen großen Schritt näher auf Ingvild zu, um sie zu stoppen. Sie bemerkt es aber, reißt die Augen wild auf und streckt ihm den Elektroschocker entgegen. Als sie auf den Knopf drückt und ihm die Funken entgegenschlagen, weicht er zurück.
    »Was tust du denn?«, ruft Yngve.
    » Du hast diese Hure umgebracht!«, sagt Ingvild verbissen. »Ja, du , Yngve! Hättest du nur deine Finger von ihr gelassen, wäre nichts von alldem geschehen. Du hast Stefan getötet, hast ihn in den Tod getrieben, du …«
    »Ingvild, das …«
    »Ach, halt den Mund! Es ist nur recht und billig, dass du die gleiche Medizin zu schmecken bekommst, die gleichen Steine wie sie, und dass es hier geschieht, an diesem Ort. Du sollst sterben wie deine Geliebte, diese Hure …«
    »Das war nicht …«
    »Versuch es gar nicht erst!«
    Speicheltropfen spritzen aus Ingvilds Mund, in deren Augen jetzt der blanke Hass steht. Sie hält schon den nächsten Stein in der Hand. Henning weiß nicht, wie er sie stoppen kann, weil sie wild mit ihrem Handy vor seinem Gesicht herumfuchtelt.
    Soll ich versuchen, Hilfe zu rufen?, denkt er. Aber dann kann es zu spät sein. Die Steine sind so schwer, dass ein gut gezielter Wurf Yngve töten könnte. Henning sucht händeringend nach einer klugen Bemerkung, aber er kriegt kein Wort heraus, tritt nur ratlos von einem Bein aufs andere, während er zusieht, wie Ingvild den nächsten Stein über den Kopf hebt und zielt.
    »Der ist dafür, dass du mit ihr geschlafen hast, du Arsch! Ich weiß, ich war dir schon lange keine Frau mehr, war scheintot, seit ich vergewaltigt worden bin, aber du hättest mir helfen sollen! Du hättest mir helfen sollen, du Schwein, und nicht auch noch meine Seele vergewaltigen. Und vor allem hättest du unseren Sohn nicht in den Wahnsinn treiben dürfen. Ich weiß das, denn ich spüre, wie er sich gefühlt hat, als er hier stand, genau wie ich, den Stein über dem Kopf und vor sich diese Hure, die uns alles zerstört hat.«
    »Aber ich habe nicht mit Henriette geschlafen! Nie!«, schreit Yngve und schließt die Augen. Henning hebt zum Schutz die Arme, obwohl sie mehrere Meter entfernt steht. Dann schließt auch er die Augen und wartet auf den Knall, den Schrei.
    Aber er kommt nicht.
    Als er die Augen wieder öffnet, steht Ingvild noch immer da, den Stein über dem Kopf erhoben, und ringt nach Atem.
    »Ich schwöre, ich habe niemals mit Henriette geschlafen!«
    Yngves Stimme ist jämmerlich und tränenerstickt. In dem Augenblick hört Henning eine Bewegung hinter sich.
    »Nein, aber mit mir .«
    Er schwingt herum. Und zum zweiten Mal in weniger als einer Stunde steht Anette Skoppum vor ihm und sieht ihm in die Augen.

65
    Wenn es einen Gott gibt, drückt er in diesem Moment auf den Pausenknopf. Henning starrt entgeistert in das Gesicht vor sich. Anette sieht sie der Reihe nach an.
    »Sorry, Juul«, sagt sie und hält ihm die Handflächen hin, »ich war einfach zu neugierig.«
    Er sieht sie an, ohne zu blinzeln.
    »W … wer sind Sie?«, fragt Ingvild.
    »Ich bin das Mädchen, mit dem Ihr Mann Sex hatte.«
    Sie sagt es freiheraus, ohne Scham, ohne

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