Stern der Göttin
holen, doch anscheinend reichte der Wirtin das, was sie bereits erhalten hatte, denn sie verschwand sofort, um die Sachen zu holen.
Als sie zurückkehrte, winkte Laisa sie näher heran. »Wir wollen auf die andere Seite hinüber und warten auf die Fähre. Weißt du, wann sie kommt?«
Die Wirtin schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich glaube gerne, dass ihr hinüberwollt, aber die Maraand-Fähre ist gestern nicht gekommen, vorgestern nicht und in den Wochen davor auch nicht. Wer weiß, ob sie jemals wieder hier anlegt.«
»Verdammt, was machen wir dann?«, entfuhr es Ysobel.
»Wenn keine Fähre kommt, bleibt uns nichts anderes übrig, als nach Edessin Dareh zu gehen und dort überzuwechseln. Nicht, dass ich es wollte, aber wenn es nicht anders geht …«
So ganz stimmte Laisas Aussage nicht, denn sie hatte inzwischen so viel von der auf Inseln im Heiligen See liegenden Stadt gehört, dass es sie in den Fingern juckte, dorthin zu reisen. Für den Auftrag aber, den sie von Khaton erhalten hatte, war es ein zu großer Umweg, und so hoffte sie, dass die Fähre bald auftauchen würde. Sie gab sich vier Tage Zeit und fragte die Wirtin, wo sie und ihre Gefährten während der Wartezeit schlafen könnten.
»Wir haben im Anbau eine Stube für deinesgleichen eingerichtet«, kam die Antwort.
Laisa hoffte nur, dass diese Kammer besser instand gehalten worden war als die Tür zur Gaststube, die sie erst hatten freischaufeln müssen.
☀ ☀ ☀
Nachdem sie drei Tage lang vergebens auf die Fähre gewartet hatten, begann Laisa gegen Mittag des vierten Tages, die Geduld zu verlieren, und überlegte, ob sie nicht besser ein Boot kaufen oder stehlen und damit zum anderen Ufer fahren sollte, egal, was man sich hier über wilde Piraten und Menschenjäger erzählte. Da hörte sie die Wirtin rufen.
»Die Fähre kommt. Schaut selbst!« In ihrer Erregung zeigte die Goisen-Frau auf die falsche Tür, doch Laisa hütete sich, die gelbe Linie zu überschreiten. Sie hatte inzwischen etlichen Erzählungen gelauscht und dabei erfahren, was Reisenden von drüben passierte, wenn sie den für sie verbotenen Teil des Gasthauses betraten. Das Geringste davon war noch eine wilde Balgerei mit einigen Dutzend Goisen-Schiffern. Daher verließ sie die Fährstation durch die für sie reservierte Tür und stieg draußen auf einen Hügel. Rongi, Ysobel und Borlon folgten ihr wie ein dreifacher Schatten.
»Es fahren so viele Schiffe auf dem Strom. Woher weiß die Wirtin denn, dass dieses eine die Fähre ist?«, wollte Rongi wissen.
»Die ist nicht zu übersehen!« Ysobel zeigte dabei auf ein graues Schiff mit grauen Segeln, das den leichten Wind ausnützte, um den Strom zu queren. Gegen die mit weißen und gelben Symbolen bemalten Schiffe der Goisen wirkte es unscheinbar und war auch um einiges kleiner als diese. Es kam jedoch rasch voran, und so vermochte Laisa bald Einzelheiten zu erkennen. Nichts an dem Schiff wies auf eine der sechs magischen Farben hin, so als wolle es mit keiner von ihnen in Verbindung gebracht werden. Mehrere hochgewachsene Männer in grauen Kitteln standen am Bug und starrten auf das Ufer. Einer kniete sogar nieder und hob seine Hände zum Gebet.
»Sie werden gleich anlegen. Wollen wir ihnen ein Stück entgegengehen?«, fragte Ysobel.
Borlon überlegte kurz und schüttelte den Kopf. »Die Schiffer werden in die Gaststube kommen. Du weißt, dass wir uns so selten wie möglich im Freien aufhalten sollen. Nur in unserem Bereich sind wir vor Angriffen sicher.«
Laisa hätte sich die Fähre gerne von nahem angesehen, aber sie verstand Borlons Bedenken. Während sie ihre Gefährten aufforderte, ihr ins Gasthaus zu folgen, kniff sie die Augenlider zusammen. »Eines geht mir nicht in den Kopf. Mit dieser Fähre und Edessin Dareh soll es nur zwei Plätze am Strom geben, an denen man auf die andere Seite überwechseln kann. Aber die Leute aus Flussmaul scheren sich nicht im Geringsten darum.«
»Da irrst du dich!«, wandte Ysobel ein. »Die überwiegende Zahl der Flussmäuler hält die Gesetze und Regeln ein. Nur Männer wie Tavuk gehen ein solches Risiko ein, aber auch nur heimlich und an Stellen, an denen sie ungestört sind. Werden sie überrascht und gefangen, ist ihnen der Tod gewiss.«
Mit dieser Erklärung musste Laisa sich vorerst zufriedengeben. Doch ihr wollte es nicht in den Sinn, dass es unmöglich sein sollte, von einer Seite des Stromes auf die andere überzuwechseln, wenn man dies nicht hier oder in Edessin Dareh
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