Waldos Lied (German Edition)
PROLOG
D ie Männer machten sich gar nicht erst die Mühe anzuklopfen. Die windschiefe Tür der Waldhütte, aus morschem Tannenholz grob zusammengenagelt, bot dem kräftigen Tritt des Großen nur wenig Widerstand. Mit einem Krachen fiel sie in den kleinen Raum, aus dem ein säuerlich muffiger Geruch aufstieg. Ganz instinktiv griff die Frau nach dem kleinen Jungen, der neben ihr kauerte, und drängte sich mit dem Kind im Arm noch tiefer in die Ecke der Schlafstatt aus Lumpen und moderndem Heu. Ihr Mann hatte noch nicht einmal mehr Zeit, nach dem großen Schwert zugreifen, das hinter ihm hing. Da sirrte die Klinge des Großen schon durch die Luft, und der Köhler fiel schwer auf den Boden.
Die Frau stieß einen kurzen Schrei aus. Hastig bedeckte sie den Jungen mit ein paar Lumpen, um ihn vor dem Blick der Eindringlinge zu schützen. Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet und wirkten riesengroß in ihrem abgezehrten Gesicht. Sie musste einmal schön gewesen sein, doch Hunger und Krankheit hatten sie gezeichnet.
Die Beinschienen des Großen klirrten, als er sich ihr zuwandte. Er trug einen zerschlissenen Umhang über seinem ledernen Wams, das auch schon bessere Tage gesehen hatte, und darüber einen Schafspelz, in dem die Motten hausten. Der Blick des Kleineren heftete sich begehrlich auf das Schwert, als die Rubine und Diamanten in seinem Griff plötzlich aufblitzten. Sie funkelten in den Strahlen der Mittagssonne, die durch die hohen Tannen fielen. »Sieh an, sieh an, welch Schatz in dieser armseligen Hütte! Die Waffe ist ja eines Kaisers würdig.« Sein Lachen klang wie das Gackern einer Henne. Nach einem Moment des Zögerns riss er die wertvolle Waffe mit einem einzigen Ruck von der Wand. »Das Prachtstück kommt mir gut zupass, nachdem ich meine Klinge erst kürzlich nach wütendem Kampf räudigem Gesindel überlassen musste. « Er packte das Schwert mit beiden Händen und musterte den Griff. »Wahrlich, ein gutes Stück. So ganz nach meinem Geschmack. Und wie schön es glänzt! Wahrscheinlich stammt es von einem Edelmann, den der Köhler gemeuchelt und bestohlen hat. Nun hat er seinen Lohn, liegt hier am Boden und glotzt wie ein toter Fisch.«
Der Große wandte sich um. »Glaubt nicht, dass die Waffe Euer ist. Sie gebührt dem Anführer, dem Edleren von uns beiden.«
Der Kleine verzog das Gesicht. »Wer sagt, dass Ihr der Anführer seid und auch der Edlere?«
Das grobschlächtige, von Pockennarben gezeichnete Gesicht des Großen verzog sich drohend. »Nun, bin ich nicht der Spross eines edlen Ritters und Ihr nur der feige Bastard eines stinkenden Bauern?«
Die Frau auf der Schlafstatt musterte die Männer mit zunehmendem Entsetzen. Ihr Blick wanderte zwischen den Eindringlingen und der offenen Türe hin und her, die lockend den Weg in die Freiheit wies. Als sie sah, dass der Große nach dem Kleinen griff, um ihm das Schwert zu entreißen, erhob sie sich leise von ihrem Lager und drückte das Kind fest an sich.
Der Kleine zeterte wie eine gefräßige Krähe, die bei ihrer Mahlzeit gestört wird. »Das ist mein Schwert. Ich habe es zuerst gesehen. Und was heißt hier Spross eines edlen Ritters! In Brunst gezeugt auf einem einfachen Lager seid Ihr, Sohn einer ehrlosen Dirne und Bastard eines verkommenen Adligen. Ihr kamt auf Stroh zur Welt wie ich. « Er drückte die Waffe mit beiden Händen an seinen Leib. Sie reichte ihm bis zum Kinn.
Auf Zehenspitzen schlich sich die Frau mit dem Kind an der Wand entlang der Tür zu.
»Ihr Schwächling — Ihr könnt die Waffe ja noch nicht einmal richtig halten«, donnerte der Große. »Euren alten, stumpfen Spieß habt Ihr Euch einfach abnehmen lassen. Gerannt seid ihr wie ein Hase! Nur Euer widerwärtig stinkendes Hinterteil ragte noch aus dem Busch, in den Ihr Euch dann kopfüber gestürzt hattet. Ich allein habe die Räuber vertrieben. Also gehört das Schwert mir. Doch wenn Ihr aufhört zu zetern, dann könnte ich mich dazu überreden lassen, Euch meine alte Waffe zu überlassen. Die ist jedenfalls besser als alles, was Ihr bislang in Euren ungeschickten Händen hieltet. « Er streckte die Hand aus und entriss dem Kleineren seine Beute.
Die Frau war fast an der Tür angekommen, als der Junge leise zu wimmern begann. Sich umzudrehen, das Schwert zu heben und zuzuschlagen war eins für den Großen. Mit einem leisen Wehlaut sank das Köhlerweib zu Boden. Das Kind entglitt ihren Armen und begann erschrocken zu schreien.
»Verfluchte Brut!« In einem
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