Sterntaucher
kannst dir was verdienen. Es war aber anders mit ihr, er hat sie denen nicht nur vorwerfen wollen, das war am Anfang, nein, der wollte sie behalten.«
»Und warum ist sie nicht wieder weg?«
»Ah, komm.« Die Frau sprach zu den Wänden. »Warum ist sie hin, warum ist sie nicht weg – sie hat doch keinen Willen mehr gehabt, keine Kraft. Und dann kommt er, der Kemper, kommt er jedesmal an und tröstet sie und ist gut zu ihr und hat die Taschen voller Pillen für sie. Ich glaub, der hat gewußt, was er tut, hat irgendwann befohlen, jetzt ist Schluß, da durfte sie keiner mehr anrühren. Da hat er sie ausstaffiert und ist Arm in Arm mit ihr stolziert, was glauben’s denn, da sahen die aus wie ein fesches Paar. Wissen’s was«, sagte sie und sah ein wenig verlegen aus, »der hat sie wirklich gemocht.«
Der ist längst tot, wollte Ina ihr sagen, der lag wie ein Hund verscharrt an jenem Ort, an den er gehörte. Ist das eine gute Nachricht?
»Vielleicht«, sagte die Frau, »wollte sie wieder auf die Beine kommen, sie hat ein paarmal versucht, den Gästen Geld zu stehlen, da hat sie sich aber so dumm angestellt, daß er es gemerkt hat.« Sie machte eine Pause, in der sie sich die Flaschen ansah, die auf zwei spiegelnden Brettern hinter dem Tresen standen. »Sie wissen nicht«, sagte sie dann sachlich, »wieviel Kraft es kostet, wegzugehen, die Trösterchen nicht mehr zu schlucken und sich durchzuschlagen ohne Geld? Das wissen’s nicht, nein?«
»Nein.«
»Ich schon. Sehen’s mal her, die Flaschen, die hätt ich früher der Reihe nach geköpft, jetzt guck ich sie an und freu mich, daß sie mir nix mehr machen. Sie hat’s dann endlich auch versucht, wollte die Kurve kriegen. Von heut auf morgen kam sie hier an und sagt, daß sie sich schon einmal etwas aufgebaut hätt, vor vielen Jahren schon. Sie hat hier ein bisserl gesungen, aber es kam nicht so recht an. Dann hat sie geputzt, weil der Geschäftsführer gemeint hat, das könnte sie vielleicht besser. Hat sie eine Weile gemacht, dann ist sie weg. Ich glaube, sie hat jemand kennengelernt, aber ich weiß es nicht genau.«
»War ihr Sohn noch mal hier?« fragte Ina.
»Ein-, zweimal ist er noch gekommen. Er war nie nett zu ihr.« Die Frau reichte Ina das Foto zurück. »Nehmen’s das wieder mit, es tut mir weh, das zu sehen. Ich möcht gar nicht wissen, was aus ihr geworden ist – nur wenn’s was Gutes ist.«
Es hätte ja so oder so ausgehen können, hatte Dorian gesagt. Gut oder böse. Da sprach er davon, wie sie ihnen Märchen vorlas und mittendrin aufhörte, um sie zu fragen, wie es weitergehen könnte. Gut oder böse. Dazwischen hast du nichts gekannt.
Dann gucken wir noch ein letztes Mal nach den guten Zeiten – guckst du manchmal auch zurück? Oder hast du die Erinnerung ausradiert? Das tröstet ja nicht, wenn man an das Schöne denkt, das ist doch Quatsch, Pfaffengesülze oder so. Ina parkte im Halteverbot und rannte hinüber zum CD-Laden, um ein letztes Stück der anderen Katja Kammer zu erhaschen. Von dem aufgeblasenen Verkäufer wurde sie mit einem Aufschrei begrüßt.
»Schwerarbeit!« Er wedelte mit beiden Händen. »Wie kommst du denn auf so einen Stuß?«
»Interessiert mich halt.« Solange sie in CD-Läden geduzt wurde, mußte sie sich nicht alt fühlen – egal, vielleicht machten die das ja auch nur, um zu schmeicheln. Aber der hier nicht, das war kein Schmeichler; »bezahlt mir kein Mensch«, murmelte er, als er vor ihr in die Hocke ging, um in einer Kiste zu kramen. Dramatisch schnaufend kam er wieder hoch und knallte die CD auf den Tresen, auf der nur ihr Name stand, sonst nichts.
»Da hab ich sieben Ramschläden anrufen müssen«, sagte er anklagend. »An- und Verkauf, sieben Stück.«
»Hm.« Sie holte das Booklet heraus und begann darin zu blättern.
»Sieben«, wiederholte er, was wollte er denn, einen Kuß? »Die ist ja längst nicht mehr im Handel. Das ist Dienst am Kunden, was ich mach.«
»Kann sein«, murmelte sie. Ein Schwarzweißfoto, nur ihr Gesicht. Große Augen, ja, graue Augen, schwarzes Haar und helle Haut. Schwarzweiß. Ein anderes Foto zeigte nur das Klavier. Nirgends ein Putzeimer, natürlich nicht, nur ein schönes Gesicht, kein zerschlagener Körper, nur Hände über Klaviertasten und keine kaputten Knie, auf denen du durch eine billige Bar gerutscht bist.
Unter den Fotos eine Zeile von Lorca:
Nicht du bist vorbereitet
und nicht ich, einander zu begegnen.
»Oh verdammt noch mal.« Sie warf das Booklet auf
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