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Marie und die Meerjungfrau (Das Geheimnis der Zaubermuscheln)

Marie und die Meerjungfrau (Das Geheimnis der Zaubermuscheln)

Titel: Marie und die Meerjungfrau (Das Geheimnis der Zaubermuscheln) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lassal
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Der verirrte Vogel
    Z um Erstaunen der Ärzte hatte der Zustand des Mädchens sich nach zehn Jahren so weit verbessert, dass die Maschinen fast nur noch für Notfälle bereitstehen mussten. Notfälle, die immer dann eintraten, wenn Marie sich aufregte und mehr machte, als still im Bett zu liegen.
    Sie erinnerte sich noch ganz genau an das letzte Mal, als es einen Notfall gegeben hatte: Vor einigen Wochen war ein junger Vogel durch das halb geöffnete Fenster ihres Schlafzimmers geflogen und hatte nicht mehr hinausgefunden. Panisch flatterte der kleine Kerl im dunklen Raum herum, stieß sich an Decke und Wänden und verhedderte sich in Schläuchen und Kabeln ihres Atmungsgerätes. Aufgeregt piepsend versuchte er sich aus dem Gewirr zu befreien, dann knallte er mit einem unheimlichen Geräusch gegen den Spiegel ihrer Schranktür und fiel regungslos zu Boden. Kurz lag er benommen auf den Holzdielen, und Marie fürchtete bereits, er hätte sich arg verletzt. Dann aber sprang er wieder auf seine dünnen Beinchen, schüttelte das zerzauste Köpfchen, breitete die kleinen Flügel aus und flog los, um weiter nach einem Ausgang zu suchen.
    Als der Vogel durch das Fenster kam und nicht mehr herausfand, war Marie vor Schreck aus dem Bett gesprungen — was sie nicht hätte tun dürfen. Als das winzige Tierchen gegen den Spiegel flog, schrie Marie vor Schreck laut auf — was sie auch nicht hätte tun dürfen. Und als der kleine Kerl benommen am Boden lag, hastete Marie zu ihm hinüber — was sie erst recht nicht hätte tun dürfen. Noch bevor sie den kleinen Raum halb durchquert hatte, brach sie atemlos zusammen. Mit einem dumpfen Geräusch schlug sie mit den Knien auf dem Boden auf und griff sich mit weit aufgerissenen Augen an den Hals. Maries Mund schnappte nach Luft wie ein kleiner Fisch, der aus seinem Aquarium gesprungen war, und nun zu ersticken drohte. In genau diesem Moment stürzte ihre Mutter ins Zimmer, alarmiert von Maries Schrei und dem ganzen Lärm, und fand sie auf dem Boden. Sie riss das Mädchen an sich, während sie mit der anderen Hand auf den orangefarbenen Notknopf des Beatmungsgerätes schlug und Marie das Mundstück aufsetzte. Sobald die erlösende Luft dem Mädchen durch Mund und Nase strömte, entspannte sich ihr Körper in den Armen ihrer Mutter.
    Der kleine Vogel hatte in der Zwischenzeit das Fenster gefunden. Er saß noch kurz auf dem Sims, blickte fragend zu Marie hinüber, als wunderte er sich, ob das Mädchen wohl auch einen Ausgang suchte. Dann zwitscherte er einmal laut, wie um ihr den Weg zu zeigen, öffnete die Flügelchen und flog in die Freiheit davon.
    Am nächsten Tag hatte Maries Vater Aufkleber besorgt, um unachtsame Vögel vor der Fensterscheibe zu warnen. Er hatte keine Vogelsilhouetten gewählt, wie sie an den Fenstern anderer Häuser klebten, sondern Fische.

Die kleine Ballerina
    D amit Maries Raum nicht so trist wirkte, hatte die Mutter vor Jahren angefangen, aus Stoffresten bunte Schleifen an die Beatmungsmaschinen zu binden: große und kleine, blaue mit gelben Punkten und feurig rote, die silbrig in der Sonne glänzten. Rechts neben dem Kopfende des Bettchens stand eine kleine Kommode, ein Geschenk ihres Vaters. Er hatte sie im Sperrmüll entdeckt und für sie algengrün angemalt, mit großen weißen Seesternen und winzigen Goldfischen drauf.
    „Wie deine Augen, wenn sie leuchten”, hatte ihr Vater ihr zugezwinkert. Denn er meinte, wenn er in ihre grünen Augen mit den orangefarbenen Sprenkeln schaute, sehe er ganz viele Goldfische in einem Waldteich.
    Auf ihrer Kommode stand die braune Flasche mit der bitteren Medizin, die Marie drei Mal täglich einnehmen musste. Aber noch etwas stand auf der Kommode, und das war eine schimmernde Dose mit einem kunstvoll nach oben gewölbten Deckel. Es war eine wertvolle, alte Spieldose aus Silber, die mit polierten Perlmuttstückchen besetzt und in etwa so groß war, wie zwei übereinandergestapelte Päckchen Butter. Morgens, wenn die Sonne ins Zimmer schien, ließ sie winzige regenbogenartige Lichtspiele entstehen, die überall an den Wänden und der Decke tanzten. Wenn man vorne unterhalb des Deckels auf einen schmalen silbernen Knopf drückte und die Dose mit einem leichten Klicken öffnete, erklang eine leise Melodie — so leise, als käme sie aus einer fernen, fremden Welt und sei von der langen Reise unendlich müde und erschöpft. In der Mitte der Dose, auf einem weißlichen Teller, drehte sich eine winzige Ballerina zur Musik. Sie

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