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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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halbfertige Berichte und Protokolle der Kollegen. Ein Supermarktleiter, in dessen Lager Robin jobbte, hatte ihn als still beschrieben, als mundfaulen, eher unfreundlichen kleinen Kerl, der seine Arbeit tat und dann verschwand. Keine Spuren. Ein Team war unterwegs, um die Leute zu befragen, die in der Nähe des Friedhofs wohnten, andere zogen weitere Erkundigungen über Hollstein ein. Ina hätte sich gerne angeschlossen, doch der Chef hatte sie für die Kammer eingeteilt. Pagelsdorf war nervös gewesen; »Aktivieren Sie Ihre Kontakte von der Sitte«, hatte er gesagt, »lassen Sie sich was einfallen. Ich will die Frau hier sitzen sehen, und zwar bald.«
    Sie war allein im Konferenzraum zurückgeblieben, um sich auch das zweite Video anzusehen, von dem Regine Tillmann sagte, es sei privat, nicht kriminell. Auch das hatten die Techniker schon untersucht und notiert, daß die junge Frau darauf mit jener im Abendkleid identisch war. Als sie es in den Recorder schob, hörte sie Kinderlachen, noch bevor das Bild erschien. Zwei kleine Kerle hockten auf dem Boden und guckten in ein Buch. »Eine Schwalbe«, sagte die Stimme einer Frau.
    »Walbe«, wiederholte der Kleinere, der tote Junge, der zwischen den Gräbern lag, und Ina schob ihren Stuhl zurück, als müsse sie sich schützen vor dem, was sie sah. Der Junge vom Seziertisch hatte blonde Locken, und auf seinem blauen Sweatshirt leuchtete ein rotes R.
    »Schwalbe«, erklärte der andere, »heißt Schwalbe, Robbi.«
    »Walbe.«
    Die Frauenstimme sagte: »Dori, weißt du, wie viele verschiedene Schwalben es gibt? Nee, kannst du ja nicht wissen.«
    »Nee«, wiederholte Dorian. »Was für Schwalben?«
    Zwei Hände hoben den Kleinen vom Boden, und als er in ihren Armen lag, patschte er seine Fäuste kichernd in das Gesicht der Frau. Man sah nur ihren Rücken, als sie ihn an sich drückte. »Paß auf«, sagte sie zu Dorian, »da gibt’s die Uferschwalbe und die Felsenschwalbe, die Rauchschwalbe und die Rötelschwalbe. Es gibt überhaupt ’ne Menge Vögel.«
    »Ötewalbe«, wiederholte der Kleine.
    » Rötelschwalbe, Mensch«, rief Dorian.
    Die Frau trug Jeans und ein Männerhemd und eine Schnur aus Perlen im langen, schwarzen Haar. Sie hielt den Kleinen ein Stück von sich weg und sagte: »Hey Robbi, sag mal Fitislaubsänger.«
    »Filäng.«
    »Klar, und sag mal Kanariengirlitz.«
    »Ilitz.«
    »Super, und jetzt – paß auf, jetzt sag mal Tüpfelsumpfhuhn.«
    Er schien zu grübeln, murmelte dann: »Umpf.«
    »Ja, klar.« Sie lachte und küßte ihn auf die Stirn.
    »Sind das Vögel?« fragte Dorian.
    »Klar sind das Vögel. Es gibt doofe Vögel und ganz tolle, welche willst du zuerst?«
    »Die Doofen«, rief Dorian. Er sah glücklich aus.
    »Also«, sagte die Frau, »da gibt es so komische Gesellen wie die Zwergschnepfe oder die Kampfwachtel.« Sie lachte. »Wie findest du das?« Der kleine Robin hatte seine Ärmchen um ihren Hals geschlungen, und man sah ihn noch gähnen, dann drehte sie sich um.
    War sie das? Die Frau an der Wand?
    Sie hatte sehr helle Haut, ein fast durchsichtiges Weiß, und helle Augen, die verträumt aussahen, so wie bei Kurzsichtigen, die keine Brille trugen. Sie schien sehr groß zu sein, aber das kam ihr vielleicht nur so vor. Ina hielt das Band an und nahm den Ausdruck von der Frau im Abendkleid, doch hielt sie ihn nur in der Hand, den Blick auf den Bildschirm geheftet. Was war passiert in den Jahren, die dazwischen lagen? Schwarzes Haar, weiße Haut und rotgeschminkte Lippen wie bei der Prinzessin aus ihrem alten Märchenbuch. Gar nicht mal so schlecht. Sie ließ das Band weiterlaufen; genaugenommen war sie ziemlich schön. Ihre Stimme wurde sehr tief, als sie den Kleinen auf den Boden zurücksetzte und wieder mit Dorian sprach: »Richtig doof ist die Trottellumme. Stell dir so einen Vogel mal vor, eine Trottellumme. «
    Ina lächelte und räusperte sich sofort, als hätte sie sich falsch benommen. Sie stellte den Ton lauter und hörte Dorian fragen: »Wie sieht der aus?«
    »Die Trottellumme? Soll ich dir was sagen?« Sie umschlang ihn von hinten und murmelte: »Ich weiß es nicht. Aber den allertollsten Vogel, den kann ich dir zeigen, das ist der Sterntaucher.«
    »Sterntaucher«, wiederholte Dorian, und der kleine Robin murmelte etwas, das wie »Aucha« klang.
    Sie blätterte in dem Buch. »Hier, schau mal, der ist fünfzig Zentimeter groß.« Sie maß es mit den Händen ab, »Siehst du?«
    Dorian nickte, und sie fuhr ihm durchs Haar. »Aber das

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