Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
unterstreichen, »in diesem Haus, das Obdach für ihre Kinder war, hat die sich nicht mehr blicken lassen. Wir haben dann vom Jugendamt die Vormundschaft bekommen, was sollten wir machen? Die Jungen auf die Straße setzen? Die hatte ihre Gründe zu verschwinden, das garantiere ich Ihnen.«
    »Der Vater ist ja längst tot«, sagte Regine Tillmann. »Das war auch so ein Musikant, starb kurz vor Robins Geburt, da hatte sie sich aber schon von ihm getrennt.«
    »Ganz genau.« Tillmann schlug eine Faust auf den Tisch. »Was hat der arme Teufel gemacht? Nimmt eine Überdosis Schlaftabletten, und das war’s. Sie hat das wohl nicht sonderlich beeindruckt. Sie ist eine verdammte Hure, wissen Sie, und jetzt ist es passiert. Ich zeig Ihnen was, jetzt zeig ich Ihnen was.« Er stand auf und zog eine verschlossene Kassette unterm Schrank hervor.
    »Es ist ekelhaft«, sagte seine Frau.
    Ina beobachtete ihn. Er ging in den Flur und kam mit seinem Schlüsselbund zurück, was so wirkte, als hätte er auf diesen Auftritt lange gewartet. Zwei Videobänder lagen in der Kassette. Tillmann nahm das oberste und schob es in den Recorder. Ein tanzender Sonnenstrahl fiel auf ein Messer, das eine Brustwarze durchschnitt. Eine Frau war zu sehen und zwei Männer über ihr, Männer mit Messern. Sie war gefesselt und schrie ohne Ton. Kissel atmete hörbar ein.
    Ina war von der Sitte zur Mordkommission gekommen. Sie hatte solche Videos gesehen und konzentrierte sich auf die technischen Details. Grobkörniges Bild, unbeholfener Wechsel zwischen Totale und Zoom, schlechte Ausleuchtung, kein Ton, aufgenommen womöglich mit versteckter Kamera. Teuer war das und begehrt, denn nur das Echte war gefragt, nicht das Gespielte. Sie hatte bei der Sitte mit einer Mutter zu tun, die ihre zehnjährige Tochter im Bahnhofsviertel zur Entjungferung anbot. Fünfhundert Mark wollte sie haben, fünfhundert extra, falls einer das filmen wollte. Videos, die Massenvergewaltigungen zeigten, aufgenommen während des Bosnienkrieges, waren zu gefragten Sammlerstücken geworden. Und hier eine Frau auf einem Möbelstück, das aussah wie ein Gynäkologenstuhl. Schemenhaft die Gesichter der Männer über ihr, doch ihr Gesicht war deutlich zu erkennen. Ihre Handgelenke waren an den Stuhl gefesselt und nur die Finger waren noch beweglich, Finger, die sich aufbäumten jedesmal, wenn die Messerspitzen in ihre Haut eindrangen. Sie zogen eine Spur über ihren Körper hinweg, ritzten ein Muster von den Brüsten über den Bauch bis zu den Beinen. Ihr Mund war weit geöffnet, und sie schrie. Es war sicher, daß sie schrie, denn ihr Mund formte Worte. Hohlwangig ihr Gesicht, mit tiefen Falten um den Mund herum, die sie älter machten, als sie vermutlich war. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie war jung und litt für ein Menschenleben und darüber hinaus.
    Wie lange würde das jetzt laufen, und warum lief es denn überhaupt – sollte sie Tillmann das fragen? Ina fing an, dummes Zeug zu denken, verglich sein rotes Gesicht mit Tommys Zügen, seinen wunderschönen Bernsteinaugen. Sie wollte wissen, ob die Frau auf dem Video sterben würde und ob sie das jetzt zu sehen bekämen, aber snuff movies, nur gedreht zu dem Zweck, echte Menschen echte Tode sterben zu lassen, existierten nur in den Köpfen mancher Leute, kein Mensch hatte so etwas wirklich gesehen.
    Das Bild zitterte, als die Kamera im Raum umherzuwandern begann. Zuschauer waren zu sehen, fünf weitere Männer, die mit Gläsern in der Hand um diesen Stuhl herum saßen, weiter weg die Gestalt einer Frau.
    »DA«, schrie Tillmann. Er hielt das Band an. »Das ist die Kammer.«
    »Woher wissen Sie das?« Kissel guckte in die Runde, als suche er jemanden zum Prügeln. Das eingefrorene Bild zeigte eine Frau im Abendkleid, die an der Wand lehnte. Langes, dunkles Haar konnte man erkennen, sonst nicht viel. Sie hatte die Arme verschränkt und ihr Gesicht lag im Schatten.
    »Ich weiß es«, sagte Tillmann. »Man erkennt einen Menschen, den man gekannt hat. Außerdem sieht man sie später noch deutlicher, ich schätze mal, daß das hier ein paar Jährchen alt ist.«
    »Wie alt ist die jetzt?« fragte Ina.
    »Damals, als sie die Kinder gebracht hat, wird sie so Anfang Dreißig gewesen sein. Über zwölf Jahre ist das jetzt her.« Tillmann schwang die Fernbedienung wie einen Dolch. »Sie können sich den Dreck bis zum Schluß angucken, die steht die ganze Zeit da wie die Oberaufsicht. Soll ich weiter?«
    Würde die Frau auf dem Stuhl sterben?

Weitere Kostenlose Bücher