Stille Kuesse sind tief
entscheiden. Er könnte weiterhin wütend und verbittert bleiben, ständig an das denken, was geschehen war, bis er irgendwann wahrscheinlich gar keinen Platz mehr für positive Gedanken haben würde. Oder er könnte die Vergangenheit hinter sich lassen und sich neu orientieren. Es war seine eigene Entscheidung, und was auch immer er wählte, er würde mit den Konsequenzen leben müssen.
12. KAPITEL
„Du scheinst sie ja wirklich sehr zu mögen“, meinte Shane, als Khatar den Kopf zurückwarf, nachdem er die komplizierte Schrittfolge, an der sie gearbeitet hatten, ausgeführt hatte.
Das Pferd tänzelte ein paar Schritte nach links, dann nach rechts, bevor es die Schrittfolge wiederholte.
„Offensichtlich brauchst du mich hier gar nicht, stimmt ʼ s?“, fragte Shane. „Du kannst das alles ganz allein.“
Khatar kam näher und stupste ihn sacht an, woraufhin Shane ihn zwischen den Ohren kraulte.
Seit er eine Schwäche für Annabelle entwickelt hatte, war aus dem einst schwierigen Hengst ein umgängliches und friedliches Pferd geworden. Shane hatte nicht vor, ihn auf Kindergartenkinder loszulassen, aber die Veränderung war schon bemerkenswert. Manchmal fragte er sich, ob Khatars früherer Trainer einfach davon ausgegangen war, dass der Hengst Schwierigkeiten bereiten würde, und ihn entsprechend behandelt hatte, bevor das Tier eine Chance gehabt hatte, sich zu beweisen.
Er führte Khatar über den Hof in Richtung der großen Weide neben Priscillas Gehege. Nach einer harten Trainingseinheit stand dem Pferd ein ordentlicher Auslauf zu.
Ein schwarzer Mercedes kam die Auffahrt hinaufgefahren und hielt vor dem Stall. Shane erkannte das Auto und den Mann, der daraus ausstieg. Seine gute Laune schwand prompt, und instinktiv verlangte es ihn danach, etwas oder jemanden zu schlagen.
„Guten Morgen“, rief Lewis. „Ich bin hier, um mit Annabelle zu sprechen.“
Shane spürte, dass Khatar sich plötzlich verspannte. Das Pferd hob den Kopf, als wollte es sich noch größer machen.
„Kluges Tier“, murmelte Shane, bevor er zu Lewis hinüberschaute. „Sie ist nicht hier.“
Lewis hob die Augenbrauen. „Wohnt sie nicht hier?“
„Nein. Sie hat eine Wohnung in der Stadt.“ Er wollte gerade noch sagen, dass sie in der Bücherei arbeitete, entschied dann aber, dass er dem anderen Mann ja nicht noch mehr Informationen als nötig geben müsste.
„Interessant. Ich dachte …“ Lewis lächelte kurz und nichtssagend. „Danke.“ Er wandte Khatar seine Aufmerksamkeit zu. „Ein erstaunliches Tier.“
„Das ist er. Reiten Sie auch?“
„Ich? Nein. Hatte noch nie was für Freiluftsport übrig.“
„Annabelle reitet.“
Verwirrt blinzelte Lewis. „Entschuldigung?“
„Annabelle reitet Khatar.“
„Da täuschen Sie sich bestimmt.“
In diesem Moment wollte Khatar sich auf Lewis stürzen. Als Shane ihn an den Zügeln packte und zurückhielt, stellte der Hengst sich drohend auf die Hinterbeine und wieherte laut.
Lewis brachte sich hastig in Sicherheit. „Das Pferd würde sie glatt umbringen. Wie können Sie das erlauben?“
„Es war nicht meine Entscheidung.“
Shane war nicht erfreut gewesen, Lewis hier auf der Farm zu sehen, doch jetzt genoss er die Unterhaltung. Trotzdem wollte er nicht, dass Khatar sich verletzte, also führte er den Hengst hinüber zum nächstgelegenen Korral und schloss das Gatterhinter sich, als er wieder hinaustrat.
„Ich komme wieder“, flüsterte er dem Hengst zu. „Dann kannst du den ganzen Nachmittag herumrennen.“
Khatar ignorierte ihn, blickte zu Lewis und schnaubte.
Gelassen schlenderte Shane zurück zu dem Mann, der sich hinter seinem Auto versteckte.
„Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass sie Spaß daran haben könnte, hier zu sein“, meinte Lewis herablassend. „Das passt nicht zu ihr.“
„Wie lange waren Sie verheiratet?“
„Zwei Jahre.“ Lewis hielt inne. „Mittlerweile fast vier, da wir ja nicht geschieden worden sind.“
„Wie sind Sie drauf gekommen, dass die Scheidung nicht rechtskräftig ist?“
„Mein Anwalt hat sich in eine andere Kanzlei eingekauft. Während des Umzugs ist er noch mal seine Akten durchgegangen und hat dabei festgestellt, dass die endgültigen Unterlagen nie vom Gericht ausgestellt worden sind.“
„Also sind Sie hergekommen, statt die Sache am Telefon zu regeln?“
Lewis lächelte. „Ich wusste, dass Annabelle die Scheidung inzwischen bestimmt bedauert. Sie gehört nicht an einen Ort wie diesen hier.“
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