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Fesseln der Leidenschaft

Fesseln der Leidenschaft

Titel: Fesseln der Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Lindsey
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1

    Schloß Clydon, England, 1192
    Bum! Wieder und wieder – bum! Das dumpfe Dröhnen des Sturmbocks übertönte das lärmende Durcheinander hinter der Brustwehr, es übertönte die Todesschreie der von Pfeilen Getroffenen im Außenhof und den hämmernden Schmerz in Reina de Champeneys Kopf. Und wieder: bum!
    Der Angriff hatte zu überraschend stattgefunden. Reina war von dem Ruf »Zu den Waffen!« geweckt worden. Da war der Außenhof dem Verrat bereits anheimgefallen. Der angebliche Pilger, dem sie in der vorhergehenden Nacht Obdach gewährt hatte, war ein Betrüger. In der Morgendämmerung hatte er das Außentor geöffnet und ein kleines Heer hereingelassen. Gott sei Dank hatte Reina den Kettensteg im Innenhof und im Wohntrakt nicht heruntergekurbelt, sonst hätte sie von der Brustwehr über dem Pförtnerhaus her keine Verteidigung dirigieren können. Das war aber auch alles, wofür sie dankbar sein konnte.
    Die angreifende Armee bestand wohl kaum aus mehr als hundert Männern, aber Clydon hatte für ein Schloß seiner Größe momentan viel zu wenig Soldaten zur Verfügung. Nachdem Reinas Vater den Bestand dezimiert hatte, um das Heer aufzufüllen, das er zum Kreuzzug mitnahm, waren nur fünfundzwanzig Männer zurückgeblieben, die nicht einmal alle anwesend waren. Zwanzig bewaffnete Soldaten und zehn Armbrust-oder Bogenschützen hielten die Stellung. Doch mindestens sechs von ihnen waren inzwischen tot oder vor dem Außenwall eingeschlossen. Die Angreifer gaben sich nicht die Mühe, sich zu schützen, denn sie trafen auf keinen geschickten Bogenschützen, der ihre Flanken bedroht hätte.
    »Mehr Öl in das Feuer!« rief Reina einem der Diener zu, die alle zur Verteidigung abkommandiert worden waren. »Wir brauchen das kochende Wasser jetzt und nicht dann, wenn das Tor nachgibt!«
    Sie beugte sich über die Brustwehr und sah gerade noch, wie ein mächtiger Felsbrocken mindestens einen Meter neben dem Rammbock zu Boden krachte und anschließend in den trockenen Wassergraben unter der Mauer rutschte, ohne Schaden angerichtet zu haben. Reina warf Theodric, ihrem vertrautesten Diener, einen mörderischen Blick zu. Der schlaksige Achtzehnjährige hatte darauf bestanden zu helfen, obwohl Reina ihn nach unten schicken wollte, nachdem er ihre Rüstung heraufgebracht und sie ihr angelegt hatte.
    »Idiot!« schrie sie ihn verärgert an. »Du solltest den Sturmbock zerstören und nicht nur Staub aufwirbeln!«
    »Diese Felsbrocken sind schwer!« gab Theodric zornig zurück, als könne das seine Verschwendung der Wurfgeschosse entschuldigen.
    »Ja, und du hast nicht die Kraft, sie hochzuheben, deshalb geh und tu das, was du tun kannst, Theo. Wir brauchen hier mehr Wasser, um es schnell zu kochen, und eine weitere Feuerstelle. Die Zeit wird knapp.«
    Sie drehte sich um, ehe sie sah, ob er seinen brennenden Stolz hinunterschlucken und ihren Befehl ausführen würde. Da stieß sie den kleinen Aylmer beinahe um, der sich an ihre Seite geschlichen hatte. Der siebenjährige Junge schlang die dünnen Ärmchen um ihr Bein, um nicht zu stürzen. Reina blieb das Herz fast stehen, denn das Kind hätte direkt über die Mauer fallen können, zumal es mit seinem verkrüppelten Fuß das Gleichgewicht nur schlecht halten konnte.
    »Was machst du hier?« schrie Reina. Sie war wütend, weil Aylmer sie so erschreckt hatte.
    Sofort stiegen Tränen in die braunen Augen, die zu ihr aufblickten, und bewirkten, daß auch Reinas Augen feucht wurden. Nie zuvor hatte sie den Jungen angeschrien, nie etwas anderes als ein liebevolles Wort für ihn übrig gehabt – oder eine weiche Schulter, an der er seinen Schmerz ausweinen konnte. Für ihn war sie wie eine Mutter, da er als Waise zu niemandem gehörte und die Zinsbauern ihn ohne Ausnahme wegen seines verkrüppelten Fußes ablehnten. Er war nur ein Sklave, aber Reina hatte ihn durch so viele Kinderkrankheiten hindurchgerettet, daß sie ihn nun wie ihr eigenes Kind beschützte und umsorgte.
    »Ich möchte dir helfen, Herrin«, antwortete Aylmer.
    Reina kniete vor ihm nieder, um die Tränen von seinen rußverschmierten Wangen zu wischen. Sie hoffte, daß das Lächeln, das sie ihm nun schenkte, ihrer vorangegangenen Grobheit die Schärfe nahm. »Ich bin froh, daß du gekommen bist, Aylmer«, log sie und schob ihn in eine Position, in der ihr gepanzerter Rücken sich zwischen dem Jungen und den Pfeilen befand, die über die Mauer schwirrten. »Ich bin so schnell hier heraufgeeilt, daß ich keine Zeit fand,

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