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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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weint, und in der übernächsten ein Zuhälter, der ebenfalls nur in Ehrbegriffen redet. Mein Wärter ist froh um mich, glaube ich.Als Gemüsehändler, damals noch unter dem Pantoffel seiner Frau, hat er sich offenbar ein Untersuchungsgefängnis sehr anders vorgestellt. Da wird man etwas zu hören bekommen! hat er gemeint. Aber keine Spur! Wenn er Verbrecher hören will, muß er ins Kino laufen (so sagt er) wie jeder andere ... Er versteht, daß ich von meinem ersten Mord, da es sich um meine Gattin handelt, nicht gern rede.
    »Aber Ihr zweiter Mord?« fragt er.
    »Mein zweiter«, sage ich und häute die Wurst, »das war eine Bagatelle, da wußte ich ja bereits, daß ich ein Mörder bin, und brauchte keine besondere Stimmung mehr dazu – das war im Dschungel.«
    »Sie sind im Dschungel gewesen, Mister White?«
    »Das will ich meinen.«
    »Tonnerwetter!« sagt er, »Tonnerwetter!«
    »Sie wissen, was Dschungel ist?«
    »Nur so aus Kulturfilmen, Mister White.«
    »Genau so«, sage ich und mache eine ziemliche Pause, bevor ich zur Sache komme, »– ich wußte doch, daß dieser Schmitz sich in Jamaika umhertreibt, monatelang trug ich den Dolch in meinem linken Stiefel.«
    »Wer ist Schmitz?«
    »Direktor Schmitz!« sage ich.
    »Kenne ich nicht.«
    »Der Haaröl-Gangster!« sage ich, »so ein Millionär, wissen Sie, dem in einem ordentlichen Rechtsstaat nicht beizukommen ist.«
    »Und den haben Sie mit einem Dolch –?«
    »Klar.«
    »Tonnerwetter!« sagt er.
    »Mit einem indianischen.«
    Leider, da er acht Zellen zu betreuen hat, ist seine Zeit jedesmal beschränkt. Er bleibt hier ohnehin schon länger als bei den andern, den Ehrenmännern. Er ist wirklich eine Seele von Mensch, indem er mir jedesmal, wenn sie die Häftlinge mit ihrem überfälligen Schweizerkäse füttern, einen Cervelat bringt, und zwar aus seinem eigenen Geld. Zwar ist auch Cervelat (Bierwurst) nicht eben meine Leibspeise, zumal nicht ohne Bier, es ist eine etwas knoblauchartige Wurst, die man nach Stunden, wenn man an ganz andere Dinge denkt, noch immer riecht; aber seine Geste rührt mich als Geste.
     
     
    Frau Julika Stiller-Tschudy, die Gattin des Verschollenen, hat bessere Fotos angefordert, um sich eine unnötige Reise von Paris hierher zu ersparen. Dreiviertel Stunden lang umstellen sie mich mit ihren Lampen, so daß man natürlich schwitzt; dazu immer die Anweisung:
    »Bleiben Sie ganz ungezwungen!«
     
     
    Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die Wüste. Beispielsweise die Wüste von Chihuahua. Ich sehe ihre große Öde voll blühender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blüht, Farben des glühenden Mittags, Farben der Dämmerung, Farben der unsäglichen Nacht. Ich liebe die Wüste. Kein Vogel in der Luft, kein Wasser, das rinnt, kein Insekt, ringsum nichts als Stille, ringsum nichts als Sand und Sand und wieder Sand, der nicht glatt ist, sondern vom Winde gekämmt und gewellt, in der Sonne wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl, Mulden voll Schatten dazwischen, die bläulich sind wie diese Tinte, ja wie mit Tinte gefüllt, und nie eine Wolke, nie auch nur ein Dunst, nie das Geräusch eines fliehenden Tieres, nur da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter, aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht – all dies sehe ich mit offenen Augen, wenn ich es auch nie werde schildern können, traumlos und wach und wie jedesmal, wenn ich es sehe, betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. Wieviel Wüste es gibt auf diesem Gestirn, dessen Gäste wir sind, ich habe es nie vorher gewußt, nur gelesen; nie erfahren, wie sehr doch alles, wovon wir leben, Geschenk einer schmalen Oase ist, unwahrscheinlich wie die Gnade. Einmal, irgendwo unter der mörderischen Glut eines Mittags ohne jeglichen Wind, hielten wir an; es war die erste Zisterne seit Tagen, die erste Oase auf jener Fahrt. Ein paar Indianer kamen heran, um unser Vehikel zu besichtigen, wortlos und schüchtern. Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase. Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heißen Motor kümmern zu müssen. Ein Esel stand im Schatten unter einem verrosteten Wellblech,

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