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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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anläßlich Ihrer Verhaftung gemacht haben sollen, bereits in die Presse gekommen. Wozu böses Blut machen! Ich ersuche Sie in Ihrem eigenenInteresse, jede Kritik an unserem Land, das ja schließlich auch Ihre Heimat ist, fortan zu unterlassen.«
    »Was habe ich denn gesagt?«
    »Man ist hier sehr empfindlich«, antwortet er mit schöner Offenheit, zugleich mit spürbarer Weigerung, Bemerkungen gegen die Schweiz mit eigenem Mund auszusprechen, und fährt fort: »– um bei unsrer Sache zu bleiben: Ich habe inzwischen sämtliche Akten gelesen, und wenn Sie jetzt die Güte haben, mich wenigstens in großen Zügen zu unterrichten, wo und wie Sie diese letzten sechs Jahre verbracht haben –«
    Das fragt er mich jedesmal. Dabei habe ich geschworen, ohne Whisky keine Aussage zu machen. Es ist ein ganzes Dossier, was er aus seiner Ledermappe zieht, voll, so daß man es ohne vorheriges Öffnen der Klammer nicht einmal blättern kann. Ich lachte ihm ins Gesicht. Er ist überzeugt, daß dieses Dossier zu mir gehört, nicht abzuhalten von stundenlangen Verlesungen. Als wäre die Langeweile, womit er mir Tag für Tag zusetzt, nicht auch eine Art von Folterung!
    »Herr Doktor«, unterbrach ich heute, »ich komme gerade aus Mexiko –«
    »Das behaupten Sie, ich weiß.«
    »– ich komme gerade aus Mexiko«, wiederholte ich, »und Sie können mir glauben, die berühmten Menschenopfer der Azteken, die menschliche Herzen aus dem lebendigen Leibe schnitten, um sie den Götzen zu opfern, sind ein Kinderspiel, verglichen mit der Behandlung an der schweizerischen Grenze, wenn ein Mensch ohne Papiere kommt – oder mit falschen Papieren – ein Kinderspiel!«
    Er lächelte nur.
    »Sie geben also zu, Herr Stiller, daß es mit Ihren amerikanischen Papieren nicht stimmt?«
    »Ich heiße nicht Stiller!«
    »Man hat mich informiert«, sagte er mit einer Ruhe, als hätte ich nicht gebrüllt, »daß Sie voraussichtlich – voraussichtlich! – niemand anders als Anatol Ludwig Stiller sind, geboren in Zürich, Bildhauer, verheiratet mit Frau Julika Stiller-Tschudy, seit sechs Jahren verschollen, zuletzt wohnhaft Steingartengasse 11, Zürich. Ich habe das Amt übernommen –«
    »Herrn Anatol Stiller zu verteidigen.«
    »Ja.«
    »Mein Name ist White.«
    Aber ich kann es ihm nicht klarmachen, und wenn ich es hundertmalsage. Unser Gespräch verläuft wie eine Grammophonplatte, wenn die Nadel an einer bestimmten Stelle immer wieder in die gleiche Rille rutscht.
    »Wieso«, fragt er, »wieso sind Sie nicht Stiller?«
    »Weil ich’s nicht bin.«
    »Wieso nicht!« sagt er, »man hat mich informiert.«
    Schließlich schweige ich. Seine Zeit ist begrenzt; darin liegt meine einzige Rettung vor diesem herzensguten Herrn, der sich für meinen Verteidiger hält, infolgedessen beleidigt ist, daß ich ihm, nachdem er das ganze Dossier gelesen hat, nicht entgegenkomme. Schließlich steckt er’s in die Ledermappe, würgt wortlos an dem Scharnier herum, bis es endlich einschnappt, und erhebt sich, prüft, ob er alles habe, Füllfeder, Brille, und gibt mir seine Hand wie nach einer verlorenen Tennispartie, dazu die Mitteilung, wann er am nächsten Tag wiederkommen wird ...
     
    PS.
    Er sei von meiner Unschuld überzeugt. Was heißt das? Plötzlich kommt mir der Gedanke, daß gegenüber Stiller, dem Verschollenen, irgendein Verdacht besteht; daher das dringende Bedürfnis der hiesigen Behörde, ihren verschollenen Bürger zu finden, um etwas abzuklären.
     
     
    Knobel (so heißt mein Wärter) ist eine Seele von Mensch, der einzige, der mir glaubt, wenn ich etwas erzähle. Während er die Zelle putzt, liege ich auf der Pritsche, und er putzt, bis das Wasser, wenn er den Lappen auswringt, klar wie zum Trinken ist. Mit allem Äußerlichen, scheint es, nehmen sie es sehr genau. Sogar die Gitterstäbe werden hierzulande abgestaubt.
    »Wenn Sie’s schon selber behaupten«, sagt mein Wärter, »daß Sie Ihre Gattin ermordet haben –«
    Früher, vor vierzehn Jahren, war er Gemüsehändler, hatte einen Karren und ein Pferd, von dem er sehr zärtlich redet, Rösli genannt. Erst meinte ich, er rede von seiner Frau. Seit er Witwer ist, arbeitet er als Wärter, bezeichnet mich als den ersten in seiner ganzen Laufbahn, der nicht jedesmal, wenn man die Zelle putzt, seine Unschuld beteuert. Er kann es nicht mehr anhören, sagt er, dieses Geschwätz von lauter Ehrenmännern. Es muß widerlich sein. In der nächsten Zelle, vernehme ich, wohnt ein Bankier, der stundenlang

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