Stoner: Roman (German Edition)
und kleinen Gärten unterbrochenen Grünanlage auf. In der Ehrfurcht, die er empfand, schwang ein überraschendes Gefühl der Sicherheit und Gelassenheit mit, wie er es nie zuvor empfunden hatte. Und obwohl es schon spät war, wanderte er viele Minuten lang am Rand des Universitätsgeländes auf und ab und schaute, als wäre ihm das Betreten nicht gestattet.
Es war schon fast dunkel, als er einen Passanten nach Ashland Gravel fragte, jener Straße, die zur Farm von Jim Foote führte, dem Vetter seiner Mutter, für den er arbeiten sollte; und es war längst dunkel, als er zu dem weißen zweistöckigen Holzhaus kam, in dem er von nun an wohnen würde. Er kannte die Footes noch nicht, und es kam ihm seltsam vor, sie so spät abends aufzusuchen.
Sie begrüßten ihn mit einem Kopfnicken, um ihn dann aufmerksam zu begutachten. Nach einer Weile, in der Stoner verlegen in der Tür stehen blieb, bedeutete ihm Jim Foote, in ein kleines, düsteres, mit Möbeln und Nippes auf matt glänzenden Tischen vollgestelltes Wohnzimmer zu treten. Er setzte sich nicht.
»Zu Abend gegessen?«, fragte Foote.
»Nein, Sir«, antwortete Stoner.
Mrs Foote lockte ihn mit gekrümmtem Zeigefinger und tappte davon. Stoner folgte ihr durch mehrere Zimmer in eine Küche, wo sie ihn anwies, sich an den Tisch zu setzen, um dann einen Krug Milch und mehrere Kanten kaltes Maisbrot vor ihn hinzustellen. Er nippte an der Milch, bekam aber mit seinem vor Aufregung trockenen Mund keinen Bissen hinunter.
Foote kam herein und stellte sich neben seine Frau. Er war ein kleiner Mann, kaum eins sechzig groß, mit hagerem Gesicht und kantiger Nase. Seine Frau war zehn Zentimeter größer; eine dicke, randlose Brille verdeckte ihre Augen, und die dünnen Lippen hielt sie zusammengepresst. Beide Eheleute sahen gierig zu, wie er an seiner Milch nippte.
»Morgens Vieh füttern und tränken, Schweinetröge auffüllen«, brach es aus Foote heraus.
Stoner blickte ihn verständnislos an. »Was?«
»Das machst du morgens«, sagte Foote, »vor der Universität. Abends fütterst du wieder das Vieh, füllst noch einmal die Tröge auf, sammelst Eier ein und melkst die Kühe. Falls du dann noch Zeit hast, kümmerst du dich ums Feuerholz. Und an Wochenenden hilfst du mir bei meiner Arbeit.«
»Ja, Sir«, antwortete Stoner.
Foote musterte ihn einen Moment lang. »College«, sagte er dann und schüttelte den Kopf.
Um sich neun Monate im Jahr Kost und Logis zu verdienen, fütterte und tränkte er also das Vieh, füllte die Schweinetröge, sammelte Eier, melkte Kühe und hackte Holz. Außerdem pflügte und eggte er die Felder, grub Baumstümpfe aus (wobei er sich im Winter durch zehn Zentimeter gefrorenen Boden arbeiten musste) und schlug Butter für Mrs Foote, die mit im Takt nickendem Kopf und grimmiger Zustimmung dabei zusah, wie der Holzstampfer durch die Milch platschte.
Stoner wurde im oberen Stock untergebracht, in einem ehemaligen Vorratsraum, dessen Mobiliar allein aus einem eisernen schwarzen Bettgestell mit durchhängendem Rost bestand, auf dem eine dünne Federmatratze lag, sowie einem wackligen Tisch mit Petroleumlampe, einem harten Stuhl auf unebenem Boden und einer großen Kiste, auf der er schrieb. Im Winter wärmte ihn nur die aufgeheizte Luft, die von den unteren Räumen durch den Boden aufstieg; er wickelte sich in zerlumpte Flickendecken, dazu in die ihm zugeteilten Wolldecken und blies sich in die Hände, damit er die Seiten der Bücher umblättern konnte, ohne sie zu zerreißen.
Seine Arbeit für die Universität erledigte er wie die Arbeit auf der Farm – gründlich, gewissenhaft, weder gern nochwiderwillig. Am Ende des ersten Jahres lag sein Notenschnitt bei Zwei minus, und es freute ihn, dass er nicht schlechter abgeschnitten hatte; dass er nicht besser war, kümmerte ihn kaum. Er wusste, dass er Sachen lernte, von denen er zuvor nichts geahnt hatte, doch war für ihn nur wichtig, dass er sich im zweiten Jahr hoffentlich ebenso gut halten würde wie im ersten.
Im Sommer nach dem ersten Studienjahr kehrte er nach Hause zurück und half bei der Ernte. Einmal fragte ihn der Vater, wie es ihm an der Universität gefalle, und er antwortete, es gefalle ihm gut. Sein Vater nickte und kam mit keinem Wort mehr darauf zurück.
Erst in seinem zweiten Jahr sollte William Stoner erfahren, warum er ans College gekommen war.
*
Im zweiten Jahr war er auf dem Campus eine vertraute Gestalt. Bei jedem Wetter trug er denselben Anzug aus schwarzem Tuch, dazu ein
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