Der Waldläufer
I
Einleitung
Da, wo der jedem Seefahrer als »Matrosenkirchhof« bekannte Meerbusen von Biskaya sich zwischen Frankreich und der pyrenäischen Halbinsel einschiebt, liegt an der Nordküste der letzteren der kleine spanische Hafen Elanchovi. Pittoresk und imposant zugleich, steigt die Küste terrassenförmig empor, vor den gefräßigen Fluthen des Meeres durch einen aus Quadersteinen errichteten Damm geschützt, von welchem aus man die stufenartig sich erhebenden Felsen ersteigt, um in die eine Straße zu gelangen, welche das Dorf Elanchovi bildet und einer ungeheuren, von der Natur für gigantische Wesen errichteten Treppe gleicht.
Auf der höchsten Spitze des Felsengürtels erhebt sich ein altes Schloß, welches mit seinen Schieferdächern und gothischen Wetterfahnen weit hinaus in die See blickt und dem ebenso alten wie reichen Geschlechte der Mediana gehört.
Schon seit langer Zeit hatten die Grafen von Mediana dieses in so wilder und einsamer Gegend liegende Schloß nicht mehr bewohnt, sondern ihren Aufenthalt vorzugsweise in Madrid gehabt, wo sie von ihren civilen oder militärischen Pflichten in der Nähe des Königs gehalten wurden. Zur Zeit, als die Heere Napoleons Spanien überschwemmten, stand die Familie Mediana auf sechs Augen. Don Juan, der ältere von zwei Brüdern, diente als höherer Offizier in der Armee. Don Antonio, der jüngere Bruder, hatte eine Charge bei der Marine eingenommen, war aber auf einer Expedition nach den spanischen Besitzungen Mittelamerikas spurlos verschwunden, und da auch von seinem Schiffe nicht das Geringste zu vernehmen war, so hatte sich das Gerücht von seinem Tode verbreitet, war jedoch durch keine gewisse und zuverlässige Kunde bestätigt worden.
Die siegreichen Legionen des französischen Imperators rückten von Provinz zu Provinz; der Guerillakrieg entwickelte sich in all seiner leidenschaftlichen Unversöhnlichkeit, und die spanische Regierung sah sich zu den größten Anstrengungen gezwungen, den kühnen Eroberern Einhalt zu thun. Auch Graf Juan von Mediana erhielt die Weisung, mit seinem Kommando am Vertheidigungskampfe theilzunehmen. Ehe er zur Armee abging, brachte er Donna Luisa, seine Frau, und den kleinen Fabian, sein einziges Kind, nach Schloß Elanchovi, wo er Beide wegen der Einsamkeit der Gegend vor jeder Fährlichkeit sicher glaubte, und vertraute sie der besonderen Obhut Don Ramon de Dies, seines Verwalters, an. Er kam nicht mehr zurück, um die beiden Geliebten abzuholen, denn eine französische Kugel streckte ihn in einem der Kämpfe, welche der Schlacht von Burgos vorangingen, zu Boden.
Von jetzt an bewohnte Donna Luisa mit ihrem Lieblinge ganz allein Schloß Elanchovi und trauerte um den Tod des Gatten, den ihr der grausame Tod entrissen hatte. Mit mütterlicher Sorgfalt wachte sie über dem Wohle Fabians, welcher, wie sie nicht anders wußte und glaubte, nun der Letzte und Einzige seines Geschlechtes war.
Die Einwohner des Dorfes sind meist Fischer und während des ganzen Tages abwesend. Daher erscheint Elanchovi auf den ersten Blick unbewohnt und verlassen. Allein zuweilen steigt von den kaminlosen Dächern der Häuser ein Rauch empor, welcher anzeigt, daß die Hausfrauen für die heimkehrenden Gatten und Söhne die Mahlzeit bereiten, und dann erscheint öfters ein Gesicht am kleinen Fenster oder eine weibliche Gestalt im grellfarbigen Rocke und mit lang herabhängenden Zöpfen vor der Thür, um auszuschauen, ob die Erwarteten ihre Kähne nach der Küste gelenkt haben. Das monotone, lautarme Leben auf der Höhe, verbunden mit dem brandenden Getöse der Wogen in der Tiefe giebt Elanchovi einen Anstrich tiefer Melancholie, der durch die Armseligkeit der mit dem Sande und den Stürmen kämpfenden Vegetation eher vermehrt als vermindert wird.
Bei seiner isolirten Lage an der Küste von Biskaya hatte der Hafen von Elanchovi, wie man sich leicht denken kann, eine zahlreiche aus Miqueletes als Küstenwächtern bestehende Besatzung. Diese Milizsoldaten befanden sich nicht in der angenehmsten Lage. Die spanische Regierung bestritt ihnen zwar keineswegs den Sold, vergaß aber beständig, ihnen denselben auszuzahlen. Die nothwendige Folge davon war, daß die Aufmerksamkeit des besseren Theiles von ihnen sich verdoppelte, um durch die Beschlagnahme von Schmuggelgütern sich von Zeit zu Zeit eine Prämie zu verdienen, die weniger skrupulöse Hälfte der Duanen aber mit den Kontrebandisto’s gemeinschaftliche Sache machte, um mit ihnen den Betrag des
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