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Sträfliche Neugier

Sträfliche Neugier

Titel: Sträfliche Neugier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus H. Stumpff
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betätigte
mich wieder als Forscher im Bereich der Agrarwissenschaften und erwarb sogar,
wie Du weißt, den Doktortitel. Ich hatte großartige Ideen: Ich wollte
regulierend in das Wachstum der Pflanzen eingreifen, und zwar sowohl den
Pflanzenwuchs anregen als auch zum Stillstand bringen. Ich hatte viel
herumexperimentiert und alle möglichen chemischen Stoffverbindungen
ausprobiert. Damit keine Unbefugten daran kämen, hatte ich kleine Proben davon
in unserer silbernen Schatulle aufbewahrt und sogar ein Warnhinweisschild dazu
gelegt.
    Eines Tages fragte mich einer meiner Schüler: »Was machen
Sie denn da?« Ich erklärte ihm, dass ich Experimente mit dem Wachstum von
Pflanzen durchführte. Nun wollte er wissen, ob das auch bei Menschen und Tieren
funktionierte. Ohne groß zu überlegen antwortete ich: »Ja, das müsste auch
gehen«. Daraufhin hatte ich die folgende Idee:
    Ich wollte meinen Schülern imponieren, indem ich ihnen
vorgaukelte, Mittel zur Verkleinerung und Vergrößerung von Menschen entwickelt
zu haben. Ich konnte schon immer gut zeichnen, und so fertigte ich lebensecht
wirkende, farbige Folien an, die ich ausgewählten Schülern auf dem
Overheadprojektor vorführte. In meiner primitiven Werkstatt stellte ich dann
winzige Metallzylinder her und gab an, das seien spezielle Reisemobile, mit
denen man alles mögliche unternehmen könne.
    Meine recht naiven Schüler nahmen mir alles ab und so
geriet ich immer tiefer in eine Verstrickung falscher Versprechungen und Lügen.
So hatte ich mich einmal gerühmt, mit zwei Schülern in einem Art Mini-Fahrzeug
eine ›Expedition tief unter die Erde‹ unternommen zu haben. Ich hätte dazu
einen Jungen und ein Mädchen auserkoren, um die Reaktionen beider Geschlechter
auf dieses Abenteuer zu testen.
    Und wie oft hatte ich meine Nachbarskinder Claudia und Max
in die Irre geführt! So hatte ich einmal absichtlich einen Zettel neben den
Papierkorb fallen lassen. Darauf hatte ich etwas über meine weißen Mäuse
notiert, die plötzlich auf nur wenige Zentimeter Größe zusammengeschrumpft
seien. Na, die mögen vielleicht Gesichter gemacht haben, als sie diese
Aufzeichnungen lasen!
     Bevor ich einen Termin für meine angeblichen Expeditionen
festlegte, verfolgte ich immer die Wettervorhersage. Wenn dann Regenwetter
angekündigt wurde, wählte ich genau diesen Tag aus. Ich stellte mich dann immer
recht traurig, weil ich angeblich wegen des Wetters alles abblasen musste. Den
Kindern habe ich als Trost aus meinen ›Tagebüchern‹ vorgelesen. Damit verfolgte
ich auch ein pädagogisches Ziel, nämlich ihr Interesse an den vielfältigen Lebensformen
zu wecken, denen man in Feld, Wald und Teichen begegnet. Denn im Unterricht war
das ein Thema gewesen, das die meisten Jugendlichen langweilte. Natürlich
hielten meine Erzählungen und Niederschriften zu meinen sogenannten
›Expeditionen‹ einer streng wissenschaftlichen Betrachtungsweise nicht stand.
Aber ich habe ganz bewusst alle ›Erlebnisse‹ immer so beschrieben, dass sie von
Jugendlichen bis etwa fünfzehn Jahren mit einer gewissen Begeisterung
aufgenommen wurden.
    Wenn die Enttäuschung wegen der wetterbedingten
Terminverschiebung allzu groß war, bin ich mit den Schülern noch in eine
Pizzeria gegangen, manchmal auch noch in ein Theater oder auf ein Volksfest.
Die Termine hatte ich immer so gewählt, dass sie unmittelbar vor der Übernahme
einer anderen Klasse stattfand. Dadurch konnte ich mich immer elegant ›aus der
Schlinge ziehen‹ und die vielen Lucias, Philips, Robbys und Franzis und wie sie
alle hießen, mit gutem Gewissen abwimmeln, sie waren dann ja nicht mehr ›meine‹
Schüler.
    Mein Musterschüler Robert Abel war bei unserer gemeinsamen
Achterbahnfahrt auf dem Oktoberfest aus dem Wagen gefallen und seitdem spurlos
verschwunden. Was hatte der mich zuvor gelöchert mit seinen kritischen Fragen!
Und trotzdem hatte er mir am Ende alles geglaubt. Sein unerklärliches
Verschwinden war gleichzeitig das Ende meiner Lehrerkarriere, denn ich wurde
wegen ›Verletzung meiner Aufsichtspflicht‹ und ›Anbandelei mit Schülern‹
fristlos aus dem Schuldienst entlassen.
    In der silbernen Schatulle findest Du vielleicht noch etliche
Ampullen und Dosen mit verschiedenen Chemikalien. Vieles, was auf den
beiliegenden Zetteln steht, ist nichts als dummes Zeug. Ich hatte meinen
Schülern manchmal den Inhalt der einzelnen Gefäße gezeigt und erklärt, welche
Substanz man für die Verkleinerung eines Menschen, und

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