Strafbataillon 999
Hauptmann Barth. »Draußen regnet's ja.«
»Ich habe einmal zugesehen. Zehn Stunden lang ohne Trinkwasser schuften und dann noch singen, na, ich danke!«
»Aber Obermeier!« sagte der Hauptmann spöttisch, steckte sich eine Zigarette an und legte das Etui offen auf den Tisch, damit sich der andere bedienen konnte. »Ich dachte, ich treffe hier einen fröhlichen Kasino-Kameraden, wie Sie es früher einmal waren – und dabei stehen Sie herum wie ein nasser Regenschirm. In Witebsk waren Sie anders.«
»Das ist es ja, Herr Hauptmann. Dort, an der Front, war ich am Platze – aber das hier? Ich bin ein Offizier und kein Gefängniswärter.« Er nahm sich eine Zigarette aus dem Etui und steckte sie sich mit leicht zitternden Fingern an. Der Hauptmann sah ihm dabei neugierig zu.
»Tun Ihnen die Kerle leid?«
»Ihnen nicht, Herr Hauptmann?«
»Wieso?« Der Hauptmann legte den Kopf auf die Seite. »Es ist keiner unter ihnen, der nicht rechtskräftig verurteilt wurde.«
Fritz Obermeier zerdrückte die kaum angerauchte Zigarette in dem großen Aschenbecher. »Sie haben meine Kompanie gesehen, Herr Hauptmann«, sagte er. »Hundertdreiundfünfzig hin- und hergejagte Leichen, die vom Oberfeldwebel Krüll schnell noch einmal fertiggemacht werden, weil sie sieben Minuten zu spät gekommen sind. Rechtskräftig verurteilt! Der kleine Schmächtige, in der ersten Reihe zum Beispiel, Oberstleutnant Remberg, Ritterkreuzträger, stand als einer der ersten vor Moskau. Bei einer Lagebesprechung sagte er etwas, daß wir uns in den russischen Weiten totlaufen und ausbluten werden. Er sagte, daß wir aufhören müßten, solange es noch geht, weil es sonst eine Katastrophe gibt. Jetzt ist er hier. ›Ich kann da nicht mehr mitmachen, ich bin kein Schlachter‹ hatte er gesagt, und das Hauptquartier reagierte sauer. Jetzt schippt er Sand.«
»Er wollte ja – kein Schlächter sein, jetzt ist er – Sandschipper«, sagte der Hauptmann. »Besser Sandschipper als tot, oder?«
Doch der Oberleutnant beachtete seinen Vorgesetzten nicht. »Oder der Ausgemergelte mit der großen Glatze und Brille. Dort geht er über den Hof – sehen Sie?«
»Was ist mit dem?« fragte der Hauptmann.
»Professor Dr. Ewald Puttkamer. Major der Reserve. Er hatte gesagt, daß das braune Hemd die neue Kluft und Berufskleidung der Totengräber sei.«
»Nicht schlecht«, grinste der Hauptmann.
»Es gibt noch eine Menge solcher Menschen hier. Aber das wissen Sie ja selbst.«
»Aber auch Kriminelle, nicht?«
»Auch die.«
»Und was soll das alles?« fragte der Hauptmann.
»Ich glaube kaum, daß es die Aufgabe eines deutschen Offiziers ist, die Aufgaben eines Gefängnisaufsehers zu übernehmen.«
Hauptmann Barth lächelte. Er setzte sich in den einzigen Sessel und blies den Rauch seiner Zigarette gegen die niedrige Barackendecke. Vom Appellplatz her, durch das geschlossene Fenster hindurch, hörte man Krülls Geschrei; der Oberfeldwebel war auf dem Wege zur Essenausgabe.
»Scheußlich«, sagte Obermeier.
»Ach was!« sprach der Hauptmann gemütlich. »Der Krieg ist scheußlich. Und der Frieden ist noch scheußlicher, weil wir Soldaten dann überflüssig sind. Sie müssen gleichgültiger sein, mein Lieber, viel gleichgültiger. Dann haben Sie vielleicht eine Chance zum Überleben. Dann kümmert Sie nicht mehr, ob ein Oberstleutnant und Ritterkreuzträger oder ein siebenkluger Professor und andere solche Helden von Krüllschnitt gegen die Mauer gejagt werden und – wie haben Sie das gesagt? – aussehen wie herumgetriebene Leichen. So war's doch?«
Der Oberleutnant nickte.
Hauptmann Barth erhob sich schwerfällig, gähnte, reckte seine breite, große Gestalt und drückte den verschobenen Ledergürtel gerade. Dann blickte er auf die kleine goldene Uhr an seinem Handgelenk und gähnte noch einmal, ohne die Hand vor den Mund zu nehmen. Ein weißes Leinenarmband hielt die Uhr fest, und man erzählte, daß Barth dieses Armband jeden Tag gegen ein neues, reinweißes und steif gestärktes auswechselte. Vielleicht stimmte es auch, obwohl dies irgendwie zu diesem großen, starken Mann nicht passen wollte – eher zu dem Kompanieführer der ersten Kompanie und Frauenliebling, Oberleutnant Wernher.
Als er wieder aufblickte, sah er Obermeier in strammer, dienstlicher Haltung vor sich stehen.
»Ich bitte Herrn Hauptmann, meine Versetzung zur Fronttruppe zu beantragen!«
»Ach nee –!« sagte der Hauptmann mokant. »Sieh mal an, ein Held! Hätten Sie noch eine Minute
Weitere Kostenlose Bücher