So funktioniert die Wirtschaft
Wachstum
Gleich ob Politik, Unternehmen, Gewerkschaften oder die breite Ãffentlichkeit: Alle lieben wirtschaftliches Wachstum, denn es scheint uns einen immer höheren Wohlstand zu garantieren. Doch taugt Wachstum als WohlstandsmaÃ? Und was ist mit diesem Begriff überhaupt gemeint?
In diesem Kapitel erfahren Sie,
unter welchen Voraussetzungen Wirtschaftswachstum erstrebenswert ist,
ob man Wachstumszahlen vertrauen kann,
wie Wachstum entsteht,
ob Wachstum die Erde langfristig zugrunde richtet.
Ist Wachstum noch erstrebenswert?
Wenn jemand heute von Wirtschaftswachstum oder kurz von Wachstum spricht oder schreibt, dann meint er normalerweise die Zunahme des Bruttoinlandsprodukts , kurz BIP .
Wichtig
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Wert aller im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen. Dabei wird das, was als Vorleistung in ein Endprodukt eingeht, nur einmal gezählt. Wertminderungen von Maschinen und Anlagen werden nicht abgezogen, deshalb âbruttoâ. Der Verbrauch an natürlichen Rohstoffen sowie Verschlechterungen der Umwelt im Produktionsprozess werden ebenfalls nicht als Kosten abgezogen. Was nicht über den Markt abgerechnet wird, z. B. Hausarbeit und heimische Kinderbetreuung, flieÃt nicht ins BIP ein.
Das BIP misst das Niveau der über den Markt abgerechneten wirtschaftlichen Aktivität eines Landes, den Endwert aller im Land produzierten Güter und Dienstleistungen. âEndwertâ bedeutet: Wenn ein Zulieferer einem Automobilhersteller eine Batterie liefert, so wird diese mit ihrem Wert zur Produktion des Zulieferers gezählt. Wenn die Statistiker den Wert des produzierten Autos statistisch erfassen, ziehen sie den Wert der Batterie ab, damit dieser nur einmal gezählt wird.
Beispiel
Wenn eine Kindergärtnerin drei Jahre in Elternzeit geht und in dieser Zeit ihre Kinder betreut und den Haushalt führt, trägt sie in dieser Zeit (auÃer als Konsumentin) nichts zum Wachstum des BIP bei. Arbeitet sie stattdessen weiter als Kindergärtnerin, schickt ihre Kinder in den Hort und beschäftigt eine Haushaltshilfe, dann tragen ihr Einkommen und der mögliche Gewinn, an dessen Erwirtschaftung sie beteiligt ist, zur gemessenen Wirtschaftsleistung bei, auÃerdem der Lohn der Haushaltshilfe und der anteilige Lohn der Hortmitarbeiter, die ihre Kinder betreuen.
Wachstum macht nicht glücklich
Wirtschaftswachstum hat mehr als einmal einen schlechten Namen bekommen. Die Hippies der späten Sechziger- und Siebzigerjahre verweigerten sich dem Konsumzwang und den Drang zum âimmer mehrâ. Die nachfolgende Ãkologiebewegung machte das Wirtschaftswachstum für Umweltverschmutzung, Plünderung der natürlichen Bodenschätze, Artenverlust und Erderwärmung verantwortlich. Und nach der Jahrtausendwende kam ein Zweig der Wirtschaftstheorie in Mode, der sich Glücksökonomie nennt. Seine Vertreter untersuchen, was die Menschen glücklich macht. Sie stellen i. d. R. fest, dass Geld nicht alles ist, ja nicht einmal das Wichtigste, zumindest wenn man schon einiges davon hat. Fast schien es, als wären damit Teile der Wirtschaftswissenschaft bei den 68ern angekommen.
Derartiges Gedankengut breitete sich bis in die hohe Politik aus. Die britische Regierung begann 2011 damit, die Lebenszufriedenheit der Bürger durch regelmäÃige Umfragen zu messen. Der französische Präsident Nikolas Sarkozy berief eine mit Nobelpreisträgern gespickte internationale Kommission von Ãkonomen ein, die untersuchen sollte, inwieweit es sinnvoll sei, das Bruttoinlandsprodukt weiter zu steigern. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprang auf den Zug auf und beauftragte den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zusammen mit seinem französischen Pendant einen Bericht zum Thema zu verfassen. Und schlieÃlich rief 2010 der Bundestag eine Enquete-Kommission âWachstum, Wohlstand, Lebensqualitätâ ins Leben.Die mit Ãkonomen und Politikern besetzte Kommission erhielt den Auftrag, âden Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermittelnâ.
Im Kern geht die Debatte um Wachstum und Lebensglück auf das sog. Easterlin-Paradox zurück. Der Ãkonom Richard Easterlin hatte 1974 in einem Fachaufsatz festgestellt, dass die Zufriedenheit der Bürger mit zunehmendem Einkommen (gemessen in Wirtschaftsleistung je Einwohner) kaum noch steigt, wenn einmal ein
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