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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Berger
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Politik. Die Entwicklung in Griechenland und Italien, wo demokratisch legitimierte Regierungen auf Wunsch der Finanzmärkte aus dem Amt gejagt und durch einen »Expertenrat« ersetzt wurden, sollte bei jedem Demokraten die Alarmglocken läuten lassen. Ein politisches System, das sich nicht am Willen der Mehrheit, sondern an den Einschätzungen von Experten orientiert, ist nach klassischer Definition keine Demokratie, sondern eine Technokratie. Übersetzt aus dem Altgriechischen bedeutet dieser Begriff denn auch »Expertenherrschaft«.
    Warum stellt eine Politik, die sich auf die Fachkenntnis von Experten und Expertisen aus der Wissenschaft stützt, eigentlich ein Problem dar? So etwas klingt doch zumindest nicht unvernünftig. Leider ist die Wissenschaft jedoch schon lange nicht mehr objektiv, neutral und rational. Vor allem die Ökonomie hat sichmehr und mehr zu einer ideologisch getriebenen Wissenschaft entwickelt. Der Begriff Allgemeinwohl ist in den Wirtschaftswissenschaften heute kaum noch bekannt und spielt bei ihrer politischen Beratung auch keine wesentliche Rolle. Dummerweise haben sich diese »Experten« zumindest in Deutschland durchgesetzt. Sie beherrschen die öffentliche Debatte und werden in und von den Medien als glaubwürdige Sachkundige verkauft.
    Als die Franzosen 1793 ihren König zum Schafott führten, skandierten sie »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Wir haben es akzeptiert, dass eine politische Kaste den Begriff Freiheit pervertiert hat. Freiheit ist das Recht eines jeden Menschen, sein Leben so weit wie möglich selbst zu bestimmen. Wer am Monatsende nicht weiß, ob er noch genug Geld hat, sich und seine Familie zu ernähren, ist nicht frei. Wer seiner Träume beraubt wird, weil er das Pech hatte, in der »falschen« Schicht geboren zu sein, ist nicht frei. Wir haben es akzeptiert, dass unsere Gesellschaft sich vom Ideal der Chancengleichheit und vom Streben nach Gerechtigkeit verabschiedet hat und große Teile der Gesellschaft nicht mehr am allgemeinen Wohlstand partizipieren können. Es gab vor sechs Jahren noch einen großen Aufschrei, als eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung herausfand, was wir eigentlich alle längst schon wussten, nämlich dass es in Deutschland eine Unterschicht gibt. 1 Damals nannte man diese Unterschicht noch verschämt »abgehängtes Prekariat«. Heute sehen wir es bereits als selbstverständlich an, dass wir uns zu einer Klassengesellschaft zurückentwickeln. Das alte Herrschaftsprinzip »divide et impera« – teile und herrsche – hat immer noch seine Gültigkeit. Wir regen uns nicht darüber auf, dass unsere Oberschicht 500 Milliarden Euro schwarz in der Schweiz bunkert und sich damit der gemeinsamen Finanzierung unserer Gesellschaft entzieht. Stattdessen fordern wir harte Sanktionen, wenn ein Hartz- IV -Empfänger seinen Antrag falsch ausfüllt. Wir haben es auch akzeptiert, dass unsere Gesellschaft sich von dem Ideal der Solidarität verabschiedet. Wir nehmen es als selbstverständlich hin, dass die starken Schultern immer stärker entlastet und dieschwachen Schultern ständig stärker belastet werden, bis sie brechen. Eine Gesellschaft, die ihre Ideale verrät, hat keine Zukunft.
    Der Philosoph und Staatstheoretiker Jean-Jacques Rousseau beschrieb in seinem 1762 erschienenen Buch Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des politischen Rechtes 2 den »allgemeinen Willen« (volonté générale) als Grundlage einer idealen Gesellschaft. Dieser allgemeine Wille sei absolut und habe sich nach dem Allgemeinwohl zu richten, das nach Rousseau im Mittelpunkt einer echten Demokratie stehen muss. In unserer Gesellschaft orientiert sich die Politik jedoch nicht am allgemeinen Willen, sondern an der Summe der Partikularinteressen, die Rousseau mit dem Begriff »Wille aller« (volonté de tous) umschrieben hat, der sich in seiner Theorie dem allgemeinen Willen unterzuordnen habe. Rousseaus Gedanken haben ihren Weg in die Verfassungen moderner Demokratien gefunden, auch das deutsche Grundgesetz interpretiert den allgemeinen Willen, indem es der Politik gewisse Leitplanken setzt. Die Verfasser des Grundgesetzes haben es jedoch wohlweislich vermieden, diese Leitplanken allzu eng zu setzen, vertrauten sie doch darauf, dass die Politik in einem demokratischen System die Partikularinteressen dem Allgemeinwohl unterordnet. Ob dieses Vertrauen gerechtfertigt war, wird sich in der Zukunft zeigen.
    Eigentlich sollte unsere Gesellschaft das notwendige Korrektiv

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