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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Berger
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Einleitung Auf der Suche nach dem Glück
    In der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1776 wird das Recht auf »Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit« als das unveräußerliche Recht eines jeden Menschen bezeichnet. Der kleine Himalaja-Staat Bhutan hat das Glück seiner Bürger sogar zum Staatsziel erhoben. Dort bemisst sich der Erfolg der Politik nicht am Bruttoinlandsprodukt, sondern am »Bruttonationalglück«. Jede öffentliche Investition und jede politische Gesetzesänderung müssen sich dort daran messen lassen, ob sie dem Allgemeinwohl dienen. Diese Maxime mag für deutsche Leser, die als Maßstab für erfolgreiches politisches Handeln eher materielle Benchmarks wie Effizienz, Produktivität, Rendite und Profit kennen, ungewöhnlich, ja vielleicht sogar naiv klingen. Warum eigentlich?
    Es versteht sich von selbst, dass wirtschaftliche Kennzahlen kein reiner Selbstzweck sind. Umso erstaunlicher ist es jedoch, dass eben diese wirtschaftlichen Kennzahlen von Politikern und Medien immer wieder isoliert zum Maß aller Dinge erhoben werden. Deutschland strebt nicht nach Glückseligkeit, sondern nach steigenden DAX -Kursen. Nicht das Bruttonationalglück, sondern das Bruttoinlandsprodukt ist die Benchmark politischen Handelns. Dabei heißt es schon im Amtseid, den jeder Bundeskanzler und Bundesminister ablegen muss: »Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden […] werde.« Dem Wohl der Wirtschaft haben die Verfasser des Grundgesetzes wohlweislich keinen Verfassungsrang zugesprochen.
    Gleichwohl stehen wirtschaftliche Kennzahlen keinesfalls im Gegensatz zum Streben nach Glückseligkeit. Denn es ist nicht per se falsch, eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts anzustreben, und selbstverständlich ist es für das Land zunächst einmal von Vorteil, wenn es der hiesigen Wirtschaft gutgeht. Analog zum bekannten Sprichwort, nach dem Geld nicht alles, ohne Geld aber alles nichts sei, könnte man auch sagen, dass Wirtschaftswachstum nicht alles, ohne Wirtschaftswachstum aber alles nichts ist.
    Seit mehreren Jahren hat die Mehrheit der Deutschen das Gefühl, dass es ihr von Jahr zu Jahr schlechter geht. Die Preise steigen, die Löhne stagnieren, immer häufiger reicht selbst für die Angehörigen der Mittelschicht am Ende des Monats das Geld nicht mehr aus, um alle Rechnungen pünktlich zu begleichen. Fragt man die Deutschen, wovor sie Angst haben, stehen nicht etwa der Klimawandel oder der internationale Terrorismus an erster Stelle, sondern die steigenden Lebenshaltungskosten. 1 Noch sind zwei Drittel aller Deutschen mit ihrem persönlichen Lebensstandard eher zufrieden. 2 Es sind jedoch ebenfalls zwei Drittel, die sich vor einem künftigen persönlichen sozialen Abstieg fürchten. 3 Mehr als die Hälfte aller Deutschen ist zudem der Ansicht, 4 dass der allgemeine Lebensstandard in Deutschland künftig eher sinken wird. All dies steht im krassen Gegensatz zur jüngeren Entwicklung der deutschen Wirtschaft, die Jahr für Jahr neue Umsatz- und Gewinnrekorde meldet, während das Bruttoinlandsprodukt trotz Weltwirtschaftskrise und kurzzeitiger Rückschläge solide und stetig steigt. Nehmen die Menschen den XXL -Aufschwung – O-Ton Rainer Brüderle – etwa nicht wahr? Oder haben sie erkannt, dass er nichts mit ihrer persönlichen Situation zu tun hat?
    Wäre das Glück auch hierzulande Staatsziel, müsste die Regierung wohl eine Kommission einberufen, um die Diskrepanz zwischen den wirtschaftlichen Kennzahlen und dem Empfinden der Menschen zu untersuchen. Die Wirtschaftswissenschaft kann – und will – diese Diskrepanz offensichtlich nicht aufklären. Das FachWohlfahrtsökonomik gilt hierzulande als Außenseiterfach, da es »normativ« ist, also Werturteile fällt. Moderne Ökonomen lieben nackte Zahlen, unterlassen es jedoch, aus diesen Zahlen Werturteile herzuleiten. Darum wird das Fach Wohlfahrtsökonomik auch nur an wenigen deutschen Universitäten überhaupt gelehrt.
    Auch das Fach Wirtschaftsethik führt an den deutschen Universitäten ein Schattendasein. Trotz großer Nachfrage seitens der Bologna-gestressten Studierenden bietet nur jede zweite Wirtschaftsfakultät dieses Fach an 5 – zu den abschlussrelevanten Pflichtveranstaltungen gehört es fast nirgends. Stattdessen werden den Studenten der Wirtschaftswissenschaften auch heute noch unhaltbare Thesen wie die der universellen

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