Stufen: Ausgewählte Gedichte
Falter.
Sitzend am Fenster ruht
Schläfrig gebückt ein Alter.
Singend durchs Frühlingslaub
Ist er einst ausgezogen.
So vieler Straßen Staub
Hat sein Haar überflogen.
Zwar der blühende Baum
Und die Falter die gelben
Scheinen gealtert kaum,
Scheinen heut noch dieselben.
Doch es sind Farbe und Duft
Dünner geworden und leerer,
Kühler das Licht und die Luft
Strenger zu atmen und schwerer.
Frühling summt bienenleis
Seine Gesänge, die holden.
Himmel schwingt blau und weiß,
Falter entflattert golden.
I M A UTO ÜBER DEN J ULIER
Stein-Öde, Trümmerfelder tot,
Dünnfarbige Algen grün, grau, rot,
Felsgipfel steil ins Graue drängend,
Gewölk die Grate überhängend,
Kaltfeindlich scharf der mürrische Wind,
Moorwasserlachen stumm und blind,
An bleichen Wänden frische Wunden
Blutbraun und schorfig, felsgeschunden.
Müd aber streng und scharfgeschnitten
Zieht lang der Straße Band inmitten,
Einst Heer- und Pilgerweg, und jetzt
Von schnurrenden Maschinen abgewetzt
Mit Menschen drin, die alles hätten,
Sich aus dem Lärm ins Sommerglück zu retten,
Nur keine Zeit, nur keine Zeit.
Wir hasten mit, es ist noch weit
Bis Bivio, bis Chur, Paris, Berlin,
Wir hasten auf der hageren Straße hin,
Wir sehen grat-entlang die Wolken ziehn,
Das Steingeröll mit blinden Wasserlachen;
Die graue Kühle will uns schauern machen,
Doch die Maschine reißt uns ohne Gnade
Hinan, hinab, hinweg. Heroisch hart
Ins Grau empor die steile Steinwelt starrt.
Wir fliehen, fliehen, und wir fühlen: ‹schade ...›
G EWITTER IM J UNI
Sonne krankt, Gebirge kauert,
Schwarze Wetterwolkenwand
Mit geduckten Kräften lauert,
Niedrig flattern scheue Vögel,
Graue Schatten übers Land.
Donner, lange schon zu hören,
Poltert lauter los und klingt
Herrlich auf zu Paukenchören,
Draus trompetenhell und golden
Blitz um Blitz den Schwall durchdringt.
Regen stürzt in dichten Güssen
Gläsern, kalt und silberfahl,
Rennt in Bächen, rauscht in Flüssen
Wild wie lang verhaltenes Schluchzen
Nieder ins erschreckte Tal.
L ICHT DER F RÜHE
Heimat, Jugend, Lebens-Morgenstunde,
Hundertmal vergessen und verloren,
Kommt von dir mir eine späte Kunde
Hergeweht, so quillt’s aus allen Tiefen,
Die verschüttet in der Seele schliefen,
Süßes Licht du, Quelle neugeboren!
Zwischen Einst und Heut das ganze Leben,
Das wir oft für stolz und reich gehalten,
Zählt nicht mehr; ich lausche hingegeben
Den so jungen, den so ewig-alten
Märchenbrunnen-Melodien wieder
Der vergessenen alten Kinderlieder.
Über allen Staub und alle Wirre
Leuchtest du hinweg und alle Mühe
Unerfüllten Strebens in der Irre,
Lautre Quelle, reines Licht der Frühe.
R EGEN IM H ERBST
O Regen, Regen im Herbst,
Grau verschleierte Berge,
Bäume mit müde sinkendem Spätlaub!
Durch beschlagene Fenster blickt
Abschiedsschwer das krankende Jahr.
Fröstelnd im triefenden Mantel
Gehst du hinaus. Am Waldrand
Tappt aus entfärbtem Laub
Kröte und Salamander trunken,
Und die Wege hinab
Rinnt und gurgelt unendlich Gewässer,
Bleibt im Grase beim Feigenbaum
In geduldigen Teichen stehn.
Und vom Kirchturm im Tale
Tropfen zögernde müde
Glockentöne für Einen vom Dorf,
Den sie begraben.
Du aber traure, Lieber,
Nicht dem begrabenen Nachbarn,
Nicht dem Sommerglück länger nach
Noch den Festen der Jugend!
Alles dauert in frommer Erinnerung,
Bleibt im Wort, im Bild, im Liede bewahrt,
Ewig bereit zur Feier der Rückkehr
Im erneuten, im edlern Gewand.
Hilf bewahren du, hilf verwandeln,
Und es geht dir die Blume
Gläubiger Freude im Herzen auf.
K LAGE UND T ROST
Jenes Licht, das einst in den Stuben
Unsrer Jugend am Abend so sanft gebrannt,
Ist nirgend mehr. Und die wir gekannt
Und geliebt als hübsche Mädchen und Buben,
Sie hingewelkt und in Gräbern vermodert.
Das Licht, das heut über den Straßen
So kühlgrell und so über die Maßen
Verschwenderisch gleißt und lodert,
Ist anders als alle Lichter waren
In den Städten unserer Kinderzeit,
Und anders geworden sind Plätze und Gassen,
So neu, so steinern, so breit.
Auch was die Kriege übrig gelassen,
Städtchen und Dörfer heimatlich altvertraut,
Aus andern, erschreckten Augen schaut,
Es dröhnt und stöhnt von ungeduldigen Motoren,
Kirche und Friedhof stehn im Gewühl
Altgeworden, verschüchtert, verloren,
Die Leute am Steuer blicken besorgt und kühl.
Aber der Regen, wenn er in Frühlingserde
Leise sinkt oder im Sommerlaub rauscht,
Klingt und riecht noch wie einst, und der lautlosen Natter Gebärde,
Wenn sie mit eckigem Köpfchen wittert und
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