Stufen: Ausgewählte Gedichte
geträumt;
Was hat mir mitten in der Nacht
Gerufen und so bang gemacht,
Als hätt ich Wichtiges versäumt?
Am liebsten liefe ich vom Haus,
Vom Garten, Dorf und Lande fort
Dem Rufe nach, dem Zauberwort,
Und weiter und zur Welt hinaus.
S KIZZENBLATT
Kalt knistert Herbstwind im dürren Rohr,
Das im Abend ergraut ist;
Krähen flattern vom Weidenbaume landeinwärts.
Einsam steht und rastet am Strande ein alter Mann,
Spürt den Wind im Haar, die Nacht und nahenden Schnee,
Blickt vom Schattenufer ins Lichte hinüber,
Wo zwischen Wolke und See ein Streifen
Fernsten Strandes noch warm im Lichte leuchtet:
Goldenes Jenseits, selig wie Traum und Dichtung.
Fest im Auge hält er das leuchtende Bild,
Denkt der Heimat, denkt seiner guten Jahre,
Sieht das Gold erbleichen, sieht es erlöschen,
Wendet sich ab und wandert
Langsam vom Weidenbaume landeinwärts.
P AVILLON IM W INTER
Urenkelstiefkind eines hadrianischen Tempels,
Illegitimer Erbe mediceischer Villen,
Mit einem Hauch Erinnerung an Versailles
Gepudert, lächelst du
Mit deinen Treppen, Säulen, Vasen und Voluten,
Unheimisch am barbarischen Strand,
Blickst in ein Land, dem du nicht angehörst,
Schickst Reize aus und Zauber,
Die nicht dein eigen sind;
Und Schnee blickt ringsum kalt
Durch deine allzu vielen Scheiben.
Du gleichst in der geliehenen Pracht
Dem armen Mädchen, das am Straßenrand
Der Großstadt steht und etwas mühsam lächelt
Und nicht so schön ist wie es scheinen will,
Und nicht so reich wie sein gefälschter Schmuck,
Und nicht so froh wie seine bunte Larve.
Ihm gleichst du; etwas Spott
Und etwas Mitleid gibt dir Antwort.
Und Schnee blickt ringsum fremd
Und kalt durch deine allzu vielen Scheiben.
I N S AND GESCHRIEBEN
Daß das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Daß das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Daß sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer.
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah am Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweggeflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.
H ERBSTGERUCH
Wieder hat ein Sommer uns verlassen,
Starb dahin in einem Spätgewitter.
Regen rauscht geduldig, und im nassen
Walde duftet es so bang und bitter.
Herbstzeitlose starrt im Grase bläßlich
Und der Pilze wucherndes Gedränge.
Unser Tal, noch gestern unermeßlich
Weit und licht, verhüllt sich und wird enge.
Enge wird und duftet bang und bitter
Diese Welt, dem Lichte abgewendet.
Rüsten wir uns auf das Spätgewitter,
Das des Lebens Sommertraum beendet!
G RAUER W INTERTAG
Es ist ein grauer Wintertag,
Still und fast ohne Licht,
Ein mürrischer Alter, der nicht mag,
Daß man noch mit ihm spricht.
Er hört den Fluß, den jungen, ziehn
Voll Drang und Leidenschaft;
Vorlaut und unnütz dünkt sie ihn,
Die ungeduldige Kraft.
Er kneift die Augen spöttisch ein
Und spart noch mehr am Licht,
Ganz sachte fängt er an zu schnei’n,
Zieht Schleier vors Gesicht.
Ihn stört in seinem Greisentraum
Der Möwen grell Geschrei,
Im kahlen Ebereschenbaum
Der Amseln Zänkerei.
All das Getue lächert ihn
Mit seiner Wichtigkeit;
Er schneielet so vor sich hin
Bis in die Dunkelheit.
M ÄRZSONNE
Trunken von früher Glut
Taumelt ein gelber
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