Stufen: Ausgewählte Gedichte
lauscht,
Oder des halben Mondes heimliche Trauer,
Wie er so fremd und verstohlen sich hebt
Über der nächtlichen Berge zackige Mauer,
Und der Weide Geweig, wenn es im Föhnwind bebt.
O und der Abendberge inniges Glühen
Oder der ersten Krokus schüchtern-schelmisches Blühen
Sind noch wie immer, ihr Zauber ist ungebrochen.
Wie sie vor Zeiten in jener versunkenen Welt
Uns begrüßt und freundlich zu uns gesprochen
Und uns die Seele mit Trost und Freude erhellt,
Sprechen sie heut noch und geben Antwort dem Herzen,
Dem die Jahre wie Tage vorüberfliehn,
Gleich dem Lampenlicht und dem sanften Schimmer der Kerzen,
Der die Abende unsrer Kindheit beschien.
N ACHRUF
Meinem lieben Freunde H. C. Bodmer an seinem
Todestage, dem 28. Mai 1956
O Freund, daß du so früh gegangen bist!
Kahl dorrt um mich der Raum, der Wald einst war.
Vergessener alter Baum, steh ich allein.
Dich kannten wenige, und keiner ganz.
Verborgen unter flotter Maske
Des Reiters, Zechers, Offiziers, Mäzens
Lebte dein Strahlendes, dein heimliches Königtum.
Und daß du hinter straffer Herrenmiene
Hingabe hegtest, Demut, Liebeskraft
Fürs Große, Heilige, war Freunden nur
Des innern Kreises kund, ein Wissen,
Das wir als kostbares Geheimnis bargen.
Leb wohl, du Stürmischer, Unbändiger!
Dein Bild bewahr ich treu, das ritterliche.
Und lang am kahlgeschlagenen Hang
Betracht ich die verödete Stelle,
Ob der sich deine Krone einst gewiegt.
W ANDERER IM S PÄTHERBST
Durch kahlen Waldes Astgeflecht
Sinkt weiß aus grauen Lüften erster Schnee
Und sinkt und sinkt. Wie ward die Welt so stumm!
Kein Blatt das rauscht, kein Vogel im Gezweig,
Nur Weiß und Grau und Stille, Stille.
Der Wandrer auch, der grün und bunte Monde
Durchwanderte mit Laute und Gesang,
Ist stumm geworden und der Freude müd,
Des Wanderns müd, der Lieder müd.
Ihn schauert, aus den kühlen grauen Höhn
Weht Schlaf ihn an, und leise sinkt
Und sinkt der Schnee ...
Noch spricht aus fernem Frühling her
Und hingewelktem Sommerglück Erinnrung
Mit blaß verwehenden Bildern:
Kirschblütenblätter schleiernd durch ein Blau,
Ein holdes lichtes Blau –
Mit zartem Flügelzittern hängt am Halm
Ein junger Falter braun und gold –
Aus laulicht feuchter Sommerwaldnacht
Sehnsüchtig langgezognes Vogellied ...
Der Wandrer nickt den lieben Bildern zu:
Wie war das schön! Und manches flattert noch
Aus jenem Einstmals auf, glänzt und erlischt:
Ein dunkelsüßer Blick aus Liebesaugen –
Ein Nachtgewitter, Blitz und Sturm im Schilf –
Ein Flötenlied aus fremdem Abendfenster –
Ein greller Häherschrei im Morgenwald ...
Es sinkt und sinkt der Schnee. Der Wandrer
Lauscht Vogelruf und Flöte nach,
Den einst erklungenen, herzbewegenden:
O schöne Welt, wie bist du so verstummt!
Unhörbar geht er hin durchs weiche Weiß
Der Heimat zu, der langvergeßnen,
Die jetzt mit sanftem Zwange ruft,
Dem Tale zu, dem Erlenbach,
Dem Markt, dem alten Vaterhaus,
Der Efeumauer, hinter der die Mutter,
Der Vater und die Ahnen ruhn.
Kein Blatt das rauscht, kein Vogel im Gezweig ...
D ER ALTE M ANN UND SEINE H ÄNDE
Mühsam schleppt er sich die Strecke
Seiner langen Nacht,
Wartet, lauscht und wacht.
Vor ihm liegen auf der Decke
Seine Hände, Linke, Rechte,
Steif und hölzern, müde Knechte,
Und er lacht
Leise, daß er sie nicht wecke.
Unverdrossener als die meisten
Haben sie geschafft,
Da sie noch im Saft.
Vieles wäre noch zu leisten,
Doch die folgsamen Gefährten
Wollen ruhn und Erde werden.
Knecht zu sein
Sind sie müd und dorren ein.
Leise, daß er sie nicht wecke,
Lacht der Herr sie an,
Langen Lebens Bahn
Scheint nun kurz, doch lang die Strecke
Einer Nacht ... Und Kinderhände,
Jünglingshände, Manneshände
Sehn am Abend, sehn am Ende
So sich an.
E IN T RAUM
Säle, bang zu durchwandern,
Hundert fremde Gesichter ...
Langsam, eins nach dem andern,
Werden blasser die Lichter.
Da, wie ihr Schimmer ergraut
Und zu Dämmrung erblindet,
Scheint mir ein Antlitz vertraut,
Liebesgedächtnis findet
Eins ums andre bekannt
Die zuvor fremden Gesichter.
Namen hör ich genannt:
Eltern, Geschwister, Gespielen,
Helden auch, Frauen und Dichter,
Die ich als Knabe verehrt.
Aber keines der vielen
Einen Blick mir gewährt.
Gleich den Flammen der Kerzen
Schwinden sie weg ins Nichts,
Lassen im trauernden Herzen
– Klänge vergeßnen Gedichts –
Dunkel zurück und Klage
Um die zu Traum und Sage
Eingedämmerten Tage
Einst genossenen Lichts.
U RALTE B UDDHA -F IGUR ,
IN EINER JAPANISCHEN W ALDSCHLUCHT
VERWITTERND
Gesänftigt und
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