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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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machte eine Pause und nahm einen tiefen Schluck aus dem Weinkrug, den Harran für ihn aus dem Vorratslager der Stiefsöhne ›besorgt‹ hatte. »Stickig heute hier drin«, murmelte er. Er strich sich über die Stirn und fächerte mit der Hand vor dem Gesicht.
    Harran nickte. Er hielt den Atem an in der Hoffnung, der Gestank würde an ihm vorüberziehen. ›Stickig‹ war für die Leichenhalle mittags an einem windstillen Tag sehr milde ausgedrückt. Grian gönnte sich noch einen Schluck, dann stellte er den Krug zufrieden zwischen die gespreizten Beine des Toten und griff nach einem Messer. »Mit Eisen hat man ihn nicht abgemurkst.« Dann blickte er auf den Wein. »Paß auf, daß man dich nicht erwischt.«
    »Ich bin vorsichtig«, antwortete Harran, ohne einzuatmen.
    »Wenn du eine schöne frische Leiche willst«, sagte Grian und beugte sich näher, »dann versuch’s doch auf dem Grundstück, drüben bei der alten Abwinder Totengrube, neben den unbewohnten Häusern. Hab’ in der vergangenen Nacht erst ein paar hingeschafft. Ich bring’ jetzt sämtliche Halunken dorthin, alle Gehenkten, seit vierzehn Tagen schon. Der alte Totenacker ist überfüllt. Die verdammten Fischäugigen ›säubern‹ die Stadt für ihre feinen Damen.«
    Die beiden letzten Worte hätten nicht abfälliger klingen können. Grian war zwar Leichensezierer und gelegentlich Totengräber, aber er war »altmodisch erzogen« und fand es unschicklich, wenn Frauen, ob nun fischäugige oder andere, am hellichten Tag oberhalb der Taille mit nichts anderem bedeckt waren als mit Farbe. Seiner Ansicht nach gab es für eine solche Entblößung passendere Orte.
    »Na, dann versuch’s mal«, riet Grian. Er zog eine Lunge wie ein getränkter, stinkender Schwamm heraus, verzog das Gesicht und warf sie in den Eimer auf dem Boden. »Nimm eine Schaufel mit. Aber tief graben mußt du nicht. Wir hatten es eilig, alle unterzubringen, und so liegt keiner tiefer als zwei Fuß, gerade genug, daß der Gestank nicht durchdringt. He, sieh dir mal das an …«
    Harran entschuldigte sich hastig damit, daß er es eilig habe, und ergriff die Flucht.
     
    In der Stunde vor Mitternacht schlich er durch die Finsternis der trostlosen Abwinderstraße. Er war mit Messer und Kurzschwert bewaffnet und (vermutlich zur Verblüffung eines möglichen Meuchlers) einer kleinen Pflanzenschaufel; es stellte sich heraus, daß er nur letztere brauchte. Grian hatte sich getäuscht, was den Gestank anbelangte.
    Die Stunde vor Mitternacht! Ein gleichzeitiger Schlag auf die Gongs des Ilstempels, diente Harran als Signal. Er machte sich an die Arbeit. Auf Händen und Knien kroch er über den unebenen Boden, der so holprig war wie eine Decke mit vielen unfreiwillig darunter Schlafenden, und tastete in dem Boden suchend nach der kleinen Wurzel herum, die er brauchte.
    In einer Ecke des Grabackers fand er endlich eine. Aus Angst, sie in der Dunkelheit zu verlieren (kein Licht durfte auch nur die Umgebung der Wurzel berühren), setzte er sich daneben und wartete. Ein Wind kam auf, es schlug Mitternacht, und schon erblühte die flüchtige Blume der Alraunwurzel so weiß wie das nach oben gedrehte Auge eines Toten. Sie strömte einen süßen Duft aus – und welkte. Harran fing zu graben an.
    Wie lange er so in dem gräßlichen Gestank und der Kälte kniete, mit einem Seidentuch vor die Augen gebunden, und an der widerspenstigen Wurzel zerrte, hätte er nicht zu sagen vermocht. Ihn interessierte die Zeit auch nicht mehr, als er etwas sich nähern hörte – ein Rascheln von Seide, die nicht seine war. Dem Wispern der Seide folgte das Flüstern des Windes, der sich um ihn senkte und verstummte.
    Harran durfte die Augenbinde nicht abnehmen, wollte er nicht sterben, denn kein Sterblicher ertrug es, die unbeschädigte Alraunwurzel zu sehen. Diese Tatsache beruhigte ihn, denn falls ihn jemand jetzt überfiel, würde er es nicht überleben. Trotzdem rann Harran kalter Schweiß in Strömen über den Rücken, während er mit der kleinen scharfen Schaufel auf die Wurzel hackte, bis er sie endlich durchtrennt hatte. Die Alraune schrie – es war ein so schrecklicher Schrei, daß der Wind, der sich um ihn geduckt hatte, panikerfüllt aufsprang und kurz zwischen den Gräbern umherirrte, ehe er wieder Deckung fand. Und Harran fror noch stärker als zuvor.
    Er riß sich die Binde von den Augen, starrte um sich und sah zweierlei: die zuckende, sich windende Wurzel, die wie ein winziger Mensch aussah; und die vermummte

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