Sturm über Freistatt
hing, mehr, als daß sie ihn stützten.
Die beiden unverletzten Stiefsöhne hoben Shal vorsichtig auf den Tisch. Raik versuchte ihnen zu helfen, aber er stand ihnen dabei bloß im Weg. Die Rechte des Verwundeten war mit einem Streifen von Lafens rotem Umhang abgeschnürt, trotzdem tropfte noch Blut aus dem vollgesaugten Verband auf den Boden. Unter dem Tisch wurde neuerliches Winseln und Schwanzschlagen laut.
»Hinaus, Tyr!« befahl Harran. Die Hündin rannte aus der Stube. Über das Schleifen des Wetzsteins hinweg sagte Harran zu den Stiefsöhnen: »Haltet ihn fest.«
Er holte ein feines Messer aus seiner Tasche, schnitt den blutgetränkten Knoten der behelfsmäßigen Aderpresse auf, löste behutsam den klebrigen Stoff und betrachtete Shals grauenvoll zugerichteten Unterarm.
»Was ist passiert?« fragte Raik mit Entsetzen in der Stimme.
»An der Brücke über den Schimmelfohlenfluß«, murmelte Yuriden. Blut, das ihm in die Wangen stieg, machte sein ohnehin dunkles Gesicht noch dunkler. »Diese verdammten Vobfs, mögen sie alle …«
»Das ist nicht von einem Schwerthieb«, stellte Harran fest. Er schob die schmale Klinge in das, was von Shals Handgelenk übrig war, und hob eine durchtrennte Ader.
Speiche und Elle waren unmittelbar über dem Gelenk zerschmettert und ragten aus der Wunde. Die Splitter kleinerer Knochen stachen durch die Haut. Die Gelenkkapsel sah aus wie eine zertretene Frucht, und das irisierende Schimmern der durchtrennten und zerquetschten Sehnen war stellenweise mit Mark und Blut überzogen. Die Schlagader hing lose heraus, war jedoch von geronnenem Blut verstopft.
»So etwas brächte ein Schwert gar nicht fertig. Ein Wagen hat ihn überrollt, während er besoffen im Rinnstein lag, nicht wahr, Yuri?«
»Harran, du verdammter …«
»Halt’s Maul, Yuri!« brüllte Raik. »Harran, was wirst du tun?«
Der Feldscher wandte sich von dem ächzenden Mann am Tisch ab und blickte den von Wut und Entsetzen geschüttelten Raik an. »Idiot«, sagte er. »Sieh dir doch die Hand an!« Raik beugte sich vor. Die Finger waren wie Krallen gekrümmt, die beschädigten Sehnen gestatteten keine andere Haltung. »Was glaubst du, was ich tun werde? Mriga …«
»Aber es ist seine Schwerthand …«
»Schön«, brummte Harran. »Wenn du willst, flick ich sie zusammen. Du erklärst es ihm dann aber, wenn der Wundbrand einsetzt und er qualvoll stirbt.«
Raik stöhnte einen Protest, nicht weniger bitter als Shals Schreie. Harran kümmerte sich nicht darum. »Mriga!« rief er aufs neue, dann ging er zum Wetzstein. »Genug! Es ist scharf genug!«
Der Wetzstein drehte sich weiter. Sanft stieß Harran Mrigas Füße von den Pedalen. Sie setzten ihr Treten auf dem Fußboden fort. Das Messer mußte er ihr behutsam entwinden, dann wischte er die schmutzige Ölschicht an der Schneide ab. Es war nun wahrhaftig scharf, man hätte damit ein Haar spalten können, nicht, daß er das für diese Arbeit müßte. Aber alte Gewohnheiten steckten in Fleisch und Blut …
Die drei am Tisch hielten Shal fest, Raik nahm Shals Gesicht zwischen die Hände. Harran beugte sich kurz darüber und blickte auf die schmerzverzerrten und vom Schock bleichen Züge. Auf gewisse Weise wirkte es traurig. Shal war nicht besser als die anderen Stiefsöhne, die jetzt hier stationiert waren, aber er war der tapferste. Immer trat er seinen Dienst fröhlich an und kam des Abends müde zurückgeritten, doch bereit, seine Pflicht auch am nächsten Tag freudig zu tun. Wie bedauerlich, daß er verstümmelt werden mußte …
Aber Mitleid gehört zu seinen anderen alten Gewohnheiten. »Shal«, sagte er, »du weißt, was ich tun muß.«
»Neiiiiiiiiin!!!«
Harran hielt inne – schließlich schüttelte er den Kopf. »Jetzt!« wandte er sich an die anderen. »Haltet ihn ganz fest!«
Doch der verletzte Stiefsohn wehrte sich. Yuris Griff war wohl nicht fest genug. Shal schwenkte den Arm wild um sich und bespritzte sie alle mit Blut.
»Ich habe gesagt, ihr sollt ihn halten !« fluchte Harran. Er stieß Raiks Hände von Shals Gesicht, nahm Shals Kopf in seine und schlug ihn hart auf die Tischplatte. Die Schreie, die zu hören Harran sich geweigert hatte, verstummten abrupt.
»Idioten!« brummte er. »Raik, gib mir den Schürhaken.«
Raik bückte sich über das Feuer und richtete sich wieder auf. Harran nahm ihm den Haken ab, rollte das rotglühende Eisen über das offene Fleisch und die zerfetzten Blutgefäße und achtete darauf, daß sie verschweißt
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