Sturm ueber Thedra
hören.
Finder waren ursprünglich schnelle dramilische Dreimaster gewesen, die das Meer nach unbotmäßigen Kapitänen und ihrer Fracht absuchten. Hatten sie ein Schiff gefunden, das kein gültiges dramilisches Zolldokument an Bord hatte, konnten die Finder nach Belieben mit Fracht, Schiff und Besatzung verfahren.
Leider neigten schon damals einige der Finder dazu, die Bestimmungen des kaiserlichen Rechts allzu frei auszulegen. Mehr als einmal waren Frachten, für die ohne jeden Zweifel alle Abgaben bezahlt worden waren, als `Finderware' wieder aufgetaucht. Die Finderkapitäne hatten jedes Mal augenzwinkernd behauptet, das betreffende Schiff sei unbemannt auf hoher See treibend vorgefunden worden und man habe die Ware nur gerettet. Da regelmäßig auch die ganze Findermannschaft diese Geschichte bestätigte und die Besatzungen der `gefundenen' Schiffe auf ewig verschwunden blieben, konnte nie ein Gericht anders entscheiden, als den Findern den Fund zuzusprechen. Außerdem - welcher Richter hätte das Risiko eingehen wollen, seine eigene Heimatstadt einem Angriff der gesamten dramilischen Flotte auszusetzen?
Das waren also die goldenen Jahre von Sordos gewesen. Die Jahre, in denen kein Anker sich vom Grunde der Häfen hob und kein Segel auch nur einen Windhauch einfing, ohne dass die Dramilen davon profitiert hätten.
Auch den Thedranern war es zu Anfang nicht besser ergangen:
Einst war Thedra ein namenloser Fleck hoch im Norden des Kaiserreiches gewesen. Vom übrigen Kontinent durch zwei unüberwindlich hohe Bergketten und ausgedehnte tückische Hochmoore, abgeschnitten, felsig und unfruchtbar, bot es sich nur für einen einzigen Zweck an: Thedra war damals kein Ort gewesen, an dem jemand freiwillig gelebt hätte. Es war ein Ort, an den man gebracht wurde - es war die Kolonie der Verbannten des Kaiserreichs. Hier wurden sie an Land gesetzt, all die, deren Dasein die Mächtigen des Kontinents in ihrer Ruhe störte, die aber nicht einfach dem Henker überantwortet werden konnten: Kaufleute, bei denen Fürsten und Grafen sich verschuldet hatten und die es gewagt hatten, ihr Geld zu fordern; illegitime Kinder der Reichen und Mächtigen, die auf Vermögen und Titel Anspruch hätten erheben können; hohe Beamte, die sich nicht der Willkür der einzelnen Despoten hatten beugen wollen, sondern nach dem Buchstaben des Gesetzes gehandelt hatten. - All diese Männer und Frauen waren aus dem öffentlichen Leben entfernt und nach Thedra gebracht worden. Nur mit ihrer Kleidung, einem Holzstab als Waffe und einer schlechten Decke als Schutz gegen die Witterung versehen, hatte man sie an Land gebracht und ihrem Schicksal überlassen.
Die Kapitäne der Transportschiffe hatten sich gewundert, dass sie Jahr für Jahr von einer größeren Menschenmenge an der Landestelle erwartet wurden. Nach allem menschlichen Ermessen ließ das spröde Land rund um das spätere Thedra den Ausgesetzten keine Überlebenschance. Ohne Schutz auf nacktem Stein, durch eine gewaltige Felsbarriere vom Hinterland abgeschnitten, ohne Brenn- und Bauholz, hätte keiner der Verbannten auch nur einen einzigen Winter überleben dürfen.
Verwundert hatten die Kapitäne ihren Dienstherren von dieser seltsamen Kolonie am Ende der Welt erzählt, aber man hatte ihre Berichte nicht ernst genommen.
Jahr für Jahr vergrößerte sich die Menschenmenge, die die Verbannten in Empfang nahm, die von bewaffneten Matrosen am Strand abgesetzt wurden. Aber nicht nur, dass die Ausgesetzten überlebten - sie erfreuten sich augenscheinlich bester Gesundheit und in jedem Frühjahr sahen die staunenden Kapitäne wieder ein paar Kinder mehr zwischen den Erwachsenen herumlaufen.
Irgendwann waren die Berichte über diese eigentlich unmögliche Kolonie im Norden seines Reiches auch zum Kaiser des Kontinents vorgedrungen. Sein Interesse war geweckt. Eine neue Siedlung in seinem Machtbereich, das mußte erkundet werden!
So war denn der nächste Gefangenentransport von zwei kaiserlichen Schiffen begleitet worden. An Bord der drei kleinen Einmaster befanden sich insgesamt einhundertfünfzig Bewaffnete unter dem Befehl des neu ernannten, kaiserlichen Statthalters der Nordkap-Kolonie, der nach erfolgter Befriedung sein Amt antreten sollte.
Tief im Wasser liegend, bis an die Grenzen ihres Fassungsvermögens beladen, verließen die Schiffe den Hafen der kaiserlichen Festung. In ihren Laderäumen führten sie alles mit sich, was zur Gründung einer kleinen Stadt erforderlich schien:
Weitere Kostenlose Bücher
Eis und Dampf: Eine Steampunk-Anthologie (German Edition) Online Lesen
von
Mike Krzywik-Groß
,
Torsten Exter
,
Stefan Holzhauer
,
Henning Mützlitz
,
Christian Lange
,
Stefan Schweikert
,
Judith C. Vogt
,
André Wiesler
,
Ann-Kathrin Karschnick
,
Eevie Demirtel
,
Marcus Rauchfuß
,
Christian Vogt