Sturm ueber Thedra
Proviant für zwei Jahre, Bauholz und Werkzeuge, Saatgut und Zuchtschafe, Hunde und Katzen, Fünftausend kleine Kupfermünzen mit dem Bildnis des Kaisers darauf, und - weil Geld Ärger nach sich zieht - ein Richter und ein Steuereintreiber. - Keiner der Männer betrat je den Boden Thedras und keines der drei Schiffe kehrte je zurück.
Jetzt endlich zeigte sich der entscheidende Fehler in der Rechnung der Herrschenden. Statt brav zu verhungern und zu erfrieren, wie der Plan es vorsah, hatten die Verbannten eine starke Kolonie gegründet. - Viel stärker, als die Kapitäne der Gefangenenschiffe es sich hätten träumen lassen. Die Gruppe, die alljährlich am Strand die Gefangenenschiffe erwartete, zählte nur etwa einhundert Personen. Hätten die Mannschaften der Landungsboote sich genauer umgesehen, hätten sie festgestellt, dass es sich dabei vornehmlich um Kinder und Greise handelte. Der Großteil der Verbannten, Männer wie Frauen, lag dagegen versteckt in den Klippen bereit und wartete auf die entscheidende Chance. Sie waren bestens gerüstet, sich das Schiff eines unvorsichtigen Kapitäns anzueignen. Lange schon lag nahe am Strand, jedoch vom Wasser aus nicht zu sehen, in jeder Felsspalte ein leichtes Boot bereit. Mit alledem hatte der kaiserliche Kommandeur nicht gerechnet und ließ in seinem Leichtsinn alle Beiboote zugleich mit Mannschaften besetzen, um etwaigen Widerstand am Ufer sofort brechen zu können.
Als die Kaiserlichen ihre Landungsboote ausbrachten, hatten die Thedraner gewartet, bis die Feinde sich halbwegs zwischen den Schiffen und dem Land befanden. Dann waren sie aus ihren Verstecken hervorgebrochen und mit den blitzschnell zu Wasser gebrachten leichten Booten waren sie mitten zwischen die kaiserlichen Invasoren gefahren. Entsetzt hatten die Matrosen versucht, zurück zu den Schiffen zu fliehen, doch die Thedraner waren wie ein Sturmwind über sie und die Soldaten hergefallen. So schnell waren sie gewesen, dass sie während des Kampfes die kaiserlichen Boote, deren Mannschaften verzweifelt ruderten, mehrfach umrundeten. Stählerne Bogen hielten die thedranischen Schützen in ihren Händen und stählerne Pfeile hielten grausame Ernte unter den Männern des Kaisers. In weniger als drei Sonnenhöhen war die Invasionstruppe des Kaisers vernichtet worden, und die Jagd auf die Schiffe hatte begonnen.
Recht anschaulich wird der Hergang in einem Heldenlied aus alter Zeit berichtet:
Hochschäumend in roter See
des Kaisers Blut im Wasser vor Thedra
kühn stürzend in brausende Gischt
das Volk der Verfemten.
Singend des Magiers silberner Bogen
versengend des Magiers eiserner Pfeil
verbrennend die Segel der fliehenden Schiffe
mit magischem Feuer.
Niederfahrend die stählernen Klingen
Gnade gewährend durch raschen Tod
Aganez Gift bringt rasche Erlösung
den Männern des Kaisers.
Vergangen die Brände, gewonnen die Schiffe
des Kaisers Blut netzt Rumpf und Deck
nicht länger an kalten Fels gekettet
Volk von Thedra.
In diesem Heldenlied wird erstmals der Name von Aganez erwähnt, einem Magischen Mediziner, der sich den Regeln seiner Zunft widersetzt hatte. Um einem bedrängten Volk zu helfen hatte er sein Wissen dazu benutzt, Waffen zu machen, und dafür war er hier an das Ende der Welt verbannt worden. - So kam es, dass in Thedra fast von der ersten Stunde an ein Magier gewirkt hatte. Ein Ausgestoßener zwar - aber immerhin ein Magier - und ein sehr kämpferischer zudem. Einer der wenigen Menschen auf dem Kontinent, der sich auf die Herstellung von federndem Stahl verstand und der sich auch nicht scheute, Schwerter und Bögen daraus zu schmieden, die allen anderen Waffen weit überlegen waren. Die Besatzungen der kaiserlichen Schiffe und Boote hatten nicht die geringste Chance gehabt, sich den wütenden Thedranern zu widersetzen, und das war allein Aganez´ Verdienst gewesen.
Schon kurz nachdem die Verbannten in kühnem Handstreich die drei Schiffe erbeutet hatten, verloren sie eines davon gleich wieder an die Finder. Der Verlust der Fracht traf die junge Kolonie damals so hart, dass deren Bewohner den Findern ewige Rache geschworen hatten. So waren denn die Thedraner darangegangen Schiffe zu bauen, die so schnell und unangreifbar waren, dass niemand sie ernsthaft bedrohen konnte.
War Thedra ehedem ein Ort gewesen, an dem die Verbannten des ganzen Kontinents in Trostlosigkeit und Kälte lebten und einer des anderen Sprache nicht verstand, so wurde es nun zu einem Schmelztiegel des
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