Sturmfahrt der Liebe: Er war der König der Meere - und sie die Herrscherin seines Herzens (German Edition)
»Ich? Ihn verführen? Sie müssen scherzen!«
»Nein, ich meine es vollkommen ernst. Und Sie werden es tun!«
»Das kann ich nicht, nein, auf keinen Fall! Sie sollten das machen. Mich würde er nicht einmal bemerken.«
»Ich würde es ja selbst machen, aber ich traue Foster nicht ganz, deshalb möchte ich in seiner Nähe bleiben. Glauben Sie mir, Sie sind wirklich nur die zweite Wahl, aber leider unentbehrlich.«
»Wahrscheinlich wird er lachen und mich wegschicken.«
»Unsinn! Lieutenant Foster sagte mir, dass der Captain schon eine ganze Weile auf See ist und keine Mätresse in einem der Häfen hat. Jedes weibliche Wesen, selbst ein so schlichtes wie Sie, dürfte seine Aufmerksamkeit erregen.«
Evangeline schüttelte den Kopf. »Nein, ich versichere Ihnen, ich weiß nichts darüber, wie man einen Gentleman verführt.«
»Sie müssen sich bloß ein wenig Mühe geben, mehr nicht.« Anna zupfte ihr eine Strähne aus dem geflochtenen Zopf. »So ist es schon besser. Und nehmen Sie die Brille ab.«
Evangeline stieß einen kurzen Schrei aus und schob ihre Brille höher. »Um Himmels willen, nein! Ohne die sehe ich keinen halben Meter weit!«
»Nun, vielleicht verleiht sie Ihnen sogar einen Anschein von Unschuld. Doch wenigstens etwas Dekolleté sollten Sie zeigen.«
Ohne Vorwarnung griff sie nach Evangelines Pierrot-Mieder und öffnete die oberen Haken. Kühle Luft wehte über Evangelines kleinen Busen, den das Korsett so hoch wie möglich drückte.
»Sie sind bedauerlich klein. Tja, manche Gentlemen geben sich mit jedem Busen zufrieden, weil sie Brüste überhaupt höchst faszinierend finden.«
Evangeline zog ihr Mieder oben zusammen. »Nun, von meinen war noch keiner fasziniert.«
»Dann haben Sie jetzt die Chance, einmal richtig zu glänzen, meine Teure. Sie werden mit dem Captain allein sein. Geben Sie einfach vor, Ihnen sei sehr heiß, und machen Sie noch einen Haken auf. Oder Sie sagen, es würde Sie dort etwas piksen.« Sie strich mit einem runden Fingernagel am Ausschnitt von Evangelines Bluse entlang und schob das Dekolleté ein wenig zur Seite.
Evangeline schluckte. »Das … das könnte ich niemals tun.«
»Nichts ist leichter als das, meine Teure. Außerdem ist sein Bett ganz in der Nähe, und Sie zeigen sich willig …«
»Sein Bett ?«
»Seien Sie nicht albern! Wir werden alles erledigt haben, ehe das nötig wird. Und jetzt kommen Sie mit, es wird Zeit!«
Mit zittrigen Knien stand Evangeline auf. »Unabhängig von der Nähe eines Bettes und den Vorzügen meines Geschlechts, bin ich doch skeptisch, was mein Talent betrifft, ihn abzulenken.«
Anna schubste sie zur Kabinentür. »Schwenken Sie Ihre Brüste vor seiner Nase, falls nötig! Das wird ihn wachrütteln.«
»Was ich zu bezweifeln wage.«
Sie griff nach der Kammertür. Im selben Moment packte Anna sie an der Schulter und drückte sie so fest, dass ihre Finger sich wie Krallen in Evangelines Haut bohrten. Annas heißer Atem strich ihr unangenehm übers Ohr. »Dass Sie es nur wissen, Miss Clemens: Sollten Sie ihn warnen, ihm auch bloß mit einem Wort andeuten, was wir vorhaben, werde ich ihm in den Bauch schießen und ihn den Haien zum Fraß vorwerfen! Haben Sie mich verstanden?«
Evangeline blickte in die kalten bösen Augen und erkannte, dass es Anna ernst war. »Ja, habe ich.«
Gemeinsam traten sie hinaus an Deck und gingen zu der kurzen Treppe, die zur Captains-Kajüte führte. Der kalte Seewind peitschte Evangelines enge Röcke um ihre Knöchel und zurrte ihr das Haar aus dem Zopf. Unter dem klaren Nachthimmel, der sich im eher ruhigen Meer spiegelte, wiegte sich das Schiff sanft auf den Wellen. Die Mannschaft jedoch tuschelte leise, als ahnten sie, dass eine Katastrophe bevorstand.
Auf dem Kommandodeck am Bug stand Lieutenant Foster, der sich lässig an die Reling lehnte. Er beobachtete Anna und Evangeline, die unter ihm über Deck schritten, schenkte ihnen allerdings keine weitere Beachtung.
Sie stiegen die Treppe hinunter. Unten war alles windstill, als Evangeline in den kleinen Gang sah, an dessen Ende die Kajüte des Captains lag. Die polierte Walnusstür mit den Messingbeschlägen kam ihr gefährlicher vor als Millers Teich in dem Winter, als Silas Burns sie herausgefordert hatte, sich auf das dünne Eis zu trauen. Sie erinnerte sich noch an ihre Angst, als das Eis unter ihren Füßen ächzte und knackte, ehe es sich in nichts auflöste und Evangeline im eisigen Wasser landete.
Dasselbe Gefühl überkam sie jetzt.
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