Sturmwelten 01
weit sie noch vom Land weg waren, lediglich der Entfernung zur Todsünde war er gewahr. Früher als er erwartet hatte, gab Pertiz den Befehl, die Riemen einzuholen, und kurz darauf knirschte Sand unter ihrem Kiel. Die Ruderer sprangen in das kniehohe Wasser und begannen, das Boot an Land zu schleppen.
Das Wasser war angenehm, nicht sehr kühl, sondern fast schon warm, und der feine Sand umspielte seine nackten Füße bei jedem Schritt. Gemeinsam mit den erfahrenen Seeleuten zog er die Boote auf den Strand und lud die Fässer aus.
»Wir gehen erst einmal die Quelle suchen«, befand Rahel, die sich gerade ein Tuch um den Kopf band. »Der Rest bleibt hier und kann sich ausruhen.«
Schnell war ein kleiner Trupp ausgewählt, zu dem auch Jaquento gehörte. Mit einem Dutzend Begleitern ließ er den sonnenüberfluteten Strand hinter sich und trat in den grünen Wald. Das Blätterwerk war so dicht, dass nur wenige Sonnenstrahlen wie lange Finger zu Boden reichten; ansonsten war es schattig. Und schwül, wie Jaquento feststellte, dem sogleich der Schweiß wieder ausbrach. Es war heiß und feucht, er konnte die Feuchtigkeit fast in der Luft schmecken. Nach den Tagen auf See, dem salzigen, unverkennbaren Geruch, der alles andere überdeckte, reizten die Noten von Pflanzen, Verfall und Leben seine Nase. Tiere riefen, Insekten schwirrten lautstark um sie herum, und immer wieder raschelte es im dichten Unterholz.
Vor ihnen hatte Pertiz sein Entermesser gezogen und begann, ihnen eine Schneise in das Gehölz zu schlagen.
»Vorsichtig«, flüsterte Rahel an seiner Seite, »in manchen dieser Wälder gibt es giftiges Getier – Schlangen und Spinnen und so.«
Aufmerksam blickte Jaquento sich um, konnte jedoch nichts erkennen. Hier und da gab es farbenprächtige Blüten, manchmal ganze Stauden, doch hauptsächlich waren sie von Grün umgeben, Grün in allen Schattierungen; so viel Grün, dass Jaquentos Augen schier davon betäubt waren und seine Umgebung kaum auseinanderhalten konnten. Zusammen mit der schweren Luft nahmen ihm seine Sinneseindrücke fast den Atem, und er folgte Rahel mit unsicheren Schritten. Die anderen Seeleute wirkten ebenfalls angespannt, ihre Scherze waren verklungen, und niemand sprach, während sie alle in das grüne Zwielicht starrten. Aber schon nach kaum zweihundert Schritt erreichten sie eine Öffnung im Blätterdach, wo ein kleiner See zwischen bemoosten Felsen lag. Die Sonne spiegelte sich auf dem klaren Wasser, das glatt und still war. Über der Oberfläche schwebten Libellen und andere Insekten, und Jaquento konnte die Kontur eines dunklen Fisches erkennen, der blitzartig verschwand, als sich die schweren Schritte der Menschen näherten.
»Wir bleiben hier«, erklärte Rahel und wies auf Jaquento und zwei weitere Männer. »Pertiz, hol die anderen mit den Fässern.«
Der Angesprochene nickte und verschwand mit dem Rest zwischen den dicken Blättern eines Farns. Nach wenigen Metern hatte der Wald sie verschluckt. Nun waren die vier allein. Der Wald drückte auf Jaquentos Gemüt, die schwüle Luft, die fremden Geräusche. Also ging er zu dem See und rutschte einen Felsen hinab bis zum Wasser, das überraschend kühl war. Aus einer Laune heraus stieß er sich ab und sprang einfach hinein. Als das Wasser über ihm zusammenschlug, war der Wald fern. Selbst als er grinsend wieder auftauchte, schien es, als hätten die Bäume sich zurückgezogen, und er schwamm unter dem blauen Himmel hinaus auf den See.
»Mach das Wasser nicht schmutzig«, rief ihm Rahel hinterher. »Das müssen wir noch trinken!«
»Keine Sorge«, erwiderte er lachend, doch er konnte spüren, wie das Wasser Schweiß und Schmutz von seiner Haut spülte. Mit geübten Schwimmzügen durchquerte er die schmale, kaum fünfzig Meter lange Seite des Sees. Die Kühle vertrieb die Hitze aus seinem Leib, und als er sich am gegenüberliegenden Ufer aus dem Wasser zog, wirkte der Wald weit weniger bedrohlich. Um ihn herum ertönten Vogelstimmen, und hier und da konnte Jaquento ihr buntes Gefieder inmitten der Blätter ausmachen.
Die grüne Wand wurde zu einzelnen Sträuchern, Farnen, Bäumen, die sich in fantastischen Formen der Sonne entgegenreckten, während Jaquento sie ausgiebig betrachtete. Neugierig trat er näher, begab sich vom Ufer des Sees in die ersten Auswüchse des Unterholzes. Die dicken Wedel eines Farns streiften seine Arme, und unter seinen Füßen spürte er weichen, feuchten Boden. Ein mächtiger Käfer brummte an seinem Ohr
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