Sturmwelten 01
Aella nach unten stürmte, warf Roxane einen Blick auf das Fort. Noch hatte es nicht wieder geschossen, aber selbst mit ungeübten Mannschaften würde man sich bald auf ein festliegendes Ziel eingeschossen haben. Ganz zu schweigen von den Korvetten, die sie nun nach Belieben unter Beschuss nehmen konnten. Wie um ihre Gedanken zu unterstreichen, feuerte die Korvette, die noch vor Anker lag, und diesmal fanden einige Kugeln ihr Ziel. Holz splitterte, Geschosse pfiffen durch die Takelage und rissen Löcher in die Segel.
»Sagen Sie es schon. Sie haben mich gewarnt, Leutnant«, sagte Cearl unvermittelt. Verblüfft blickte Roxane ihn an; dieser Gedanke war ihr bislang gar nicht gekommen. All ihre Überlegungen galten ihrer Lage und wie sie dieser entrinnen konnten. Was wir jetzt nicht brauchen können, ist ein von Schuldgefühlen übermannter Kapitän.
»Es war eine taktische Entscheidung, Thay, die Sie mit vollem Recht getroffen haben. Jetzt ist es an uns, diese unangenehme Situation zu beenden, und wir haben kaum Zeit für Vorwürfe, nicht wahr?«
»Nein«, erwiderte er und sah sie dankbar an. »Vorschläge?«
»Das Wasser wird sich mit der Flut nur minimal heben. Darauf können wir uns nicht verlassen. Wir müssen uns selbst von dieser Sandbank hinunterhieven. Unsere Breitseite nutzt nichts, also würde ich sagen, wir stellen jeden verfügbaren Mann und jede Frau an das große Gangspill. Zwei Boote bringen zwei Anker nach vorn, und wir ziehen uns selbst an denen aus diesem Schlamassel.«
Nachdenklich blickte Cearl zum Bug und rieb sich mit der flachen Hand über das müde, abgezehrte Gesicht.
»Das könnte funktionieren. Aber für die Besatzung der Boote wird das ein Selbstmordkommando. Die Korvette voraus wird sie unter Feuer nehmen.«
»Unsere Verbündeten müssen sie ablenken. Und wir geben ihnen mit den Jagdgeschützen etwas, worüber sie nachdenken können. Haben wir eine andere Option?«
In diesem Moment ertönte neuerlicher Kanonendonner, und die Kettenkugeln des gegnerischen Schiffes schlugen in die Takelage der Mantikor ein. Die untere Rahe des Großmasts gab nach, und sie schlug krachend auf das Deck auf. Einige Matrosen versuchten sich vor der Wucht in Deckung zu bringen, doch es gelang nicht allen. Ein Mann heulte vor Schmerzen auf, und Roxane sah aus dem Augenwinkel, wie seine blutüberströmte Gestalt von zwei weiteren unter Deck geschafft wurde.
»Nein, wir haben keine andere Option«, gab Cearl zu und rieb sich mit der Hand über den Mund. »Verflucht, es ist meine Schuld. Wir sitzen hier fest wie fette Enten, und da drüben sind die Jäger und schießen uns gemütlich ab. Wenn wir nicht loskommen …«
Er beendete den Satz nicht, denn gerade umrundeten endlich die beiden verbündeten Schiffe die Landzunge. Ihre Segel waren voll gesetzt, und das größere der beiden machte sichtlich mehr Fahrt als die Mantikor auf demselben Weg. Schnittig pflügte es durch die See, und an Deck konnte man Dutzende von Seeleuten erkennen.
Doch anstatt auf die Korvette Kurs zu nehmen, segelten die Schiffe weiter. Der Zweimaster, der laut Jaquento Windreiter hieß, drehte sogar ab und vergrößerte seinen Abstand zu den Schiffen. Wieder donnerten Kanonen. Das Fort schoss erneut zu kurz, doch die Einschläge kamen näher.
»Sie haben nicht erkannt, dass wir festliegen«, vermutete Cearl. »Verdammte Zivilisten. Wir können ihnen nicht einmal Flaggensignale geben. Sprachrohr!«
Während ein Fähnrich mit dem gewünschten Sprachrohr herbeilief, beobachtete die junge Offizierin das Schiff. Etwas stimmte nicht. Der Kurs war zu gradlinig, er würde sie nicht nahe an den Strand bringen, wie es geplant gewesen war.
»Sie steuern auf das schwarze Schiff zu«, rief sie, als sie endlich erkannte, was der Kapitän vorhatte.
»Was? Bei allen Seeteufeln!«
Mit wutverzerrter Miene hob Cearl das Sprachrohr an den Mund: »Greifen Sie die Korvette an! Bestätigen Sie den Befehl!«
Die genannte Korvette feuerte in diesem Augenblick erneut, und wieder saß die Breitseite. Am Bug splitterten Decksplanken auf, und irgendetwas schlug nahe bei ihnen ein und sandte einen Splitterregen in die Luft. Gleichzeitig warfen sich Roxane und Frewelling zu Boden, und Roxane spürte mehrere feine Stiche in der Seite. Als sie sich aufrappelten, fluchte Cearl erneut. Ein Splitter hatte ihn an der Schläfe getroffen, und Blut lief ihm auf den Kragen der Uniform, doch es war nicht die Wunde, die ihn erzürnte. Ihre angeblichen Verbündeten
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