Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
sie davon ab. Verwirrt blickte sie sich um und entdeckte um sich herum Trümmer. Wo sich vor wenigen Augenblicken noch das Poopdeck erhoben hatte, ragten nun geborstene Planken wie Krallen in die Höhe. Um sich herum hörte sie Rufe, ein Mensch schrie vor Schmerzen, doch sonst war es gespenstisch still, ganz anders als in jeder Schlacht, die Roxane bislang erlebt hatte.
Sie hetzte zum Aufgang, doch noch bevor sie ihn nur halb erklommen hatte, wusste sie bereits, was sie dort vorfinden würde. Das gesamte Achterdeck wirkte, als sei es aus nächster Nähe von Karronaden beschossen worden. Die mächtigen, kurzläufigen Geschütze waren dafür bekannt, furchtbaren Schaden auf kurze Distanzen anzurichten – nur konnte dies nicht geschehen sein, da kein feindliches Schiff in ihrer Nähe war.
Selbst der Mast war in Mitleidenschaft gezogen, die Segel zerfetzt, Taue gerissen. Sprachlos betrachtete Roxane das Ausmaß der Zerstörung. Von Überlebenden keine Spur. Kein Admiral, keine Kapitänin, keine Leutnants waren zu sehen. Das Schiff war ohne Führung.
Ein gewaltiges Brüllen hallte über das Wasser. Unvermittelt
loderten in einiger Entfernung Flammen auf, wie bei einer Explosion, nur dauerte es länger und länger. Es donnerte und brodelte; dann erstarb der unirdische Lärm – nur um durch grauenerregende Schreie ersetzt zu werden. Jetzt fraßen sich dort kleinere Feuer durch den Nebel, und nach wenigen Sekunden konnte Roxane die Umrisse eines in Flammen stehenden Schiffes erkennen.
»Was geht da vor?«, rief eine ängstliche Stimme, und für einen Moment spürte Roxane Panik in sich aufsteigen. Doch dann riss sie sich zusammen. Du bist Offizierin der Königlichen Marine! In Frieden und Krieg, in der Schlacht und im Tod !
»Breitseiten bereit!«, brüllte sie, und ihr eigenes Kommando unterdrückte ihre Furcht und ließ die Routine zurückkehren. »Kanonen laden! Mannschaften an die Geschütze! Kanonen ausfahren!«
Zunächst glaubte sie, dass niemand auf ihre Befehle hören würde, doch die Seeleute setzten sich in Bewegung, rannten über das Deck und liefen hinab zu den Kanonendecks.
»Schiffszimmermann zum Achterdeck!«, befahl sie in der Hoffnung, dass die schlimmsten Schäden repariert werden konnten. »Scharfschützen in die Masten! Doppelte Ausgucke! Maestre und Caserdote des Schiffs zu mir!«
Der Verlust des Ruders war schmerzlich, doch notfalls konnte die Amerswatt auch nur mit Segeln unter Kontrolle gebracht werden. Bei den leichten Winden war die Küste keine Gefahr.
»Signalisieren Sie dem Geschwader, dass es dem brennenden Schiff Unterstützung leisten soll! Die Schiffe enger zusammen, in Formation!«
Ein Fähnrich wollte an ihr vorbeirennen, doch sie ergriff seinen Arm und zog ihn zu sich heran: »Holen Sie sich drei Leute, und suchen Sie den Admiral und die Kapitänin. Sie waren auf dem Poopdeck, als wir getroffen wurden. Verdammt,
suchen Sie nach allen Überlebenden, und schaffen Sie sie ins Lazarett.«
Der junge Mann, der nicht älter als dreizehn oder vierzehn sein konnte, starrte sie mit großen Augen an, machte aber keine Anstalten, dem Befehl zu gehorchen.
»Los! Los!«, fauchte Roxane, und er zuckte zusammen, salutierte steif und rannte davon.
Als sie sich umwandte, erblickte sie zwei Männer, die respektvoll zwei Schritte Abstand gehalten hatten.
»Sie sind …?«
»Maestre Chalkin, und dies ist der ehrwürdige Caserdote Totthill«, erklärte der kleinere der beiden steif und deutete eine Verbeugung an, während sein Begleiter, der ihn um gut anderthalb Köpfe überragte, Roxane nur stumm ansah.
»Ich bin Kapitänin Roxane Hedyn, meine Herren, und ich habe im Augenblick das Kommando über dieses Schiff übernommen.«
Sie erwartete Erstaunen oder Protest, denn der Eingriff in die Kommandokette war unerhört, doch stattdessen fragte Totthill nur mit einer für einen so großen Mann dünnen Stimme: »Was ist mit Kapitänin Farcey?«
»Derzeit im Kampf vermisst, Thay. Hören Sie, mir ist bewusst, dass die Situation ungewöhnlich ist …« Eigentlich wäre es an den Leutnants des Schiffs gewesen, die Kapitänin zu ersetzen, aber noch war keiner von ihnen wieder aufgetaucht.
»In der Tat, Thay«, stimmte der Maestre ihr heftig zu und blinzelte. Sein rechtes Augenlid zuckte immer wieder, als habe er es nicht unter Kontrolle. »Was auch immer dort draußen ist, es ist kein gewöhnlicher Feind.«
Roxane zog die Brauen zusammen. »Wie meinen Sie das, Thay?«
»Nun, ich habe Entladungen
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