Suche Traumprinz, biete Sandburg
Brinx/Kömmerling, E-Mail mit Kuss
ELLI hat Justin
Dear Justin!
Ich sitze vor meinem Computer und starre die beiden Worte an, die ich gerade getippt habe. Dear Justin. Danke, das klingt ja gerade so, als würde ich diesen Justin schon ewig kennen und tief in mein Herz geschlossen haben. Einerseits. Andererseits hört es sich ungefähr so brav und gestelzt an wie Lieber Opa, wie geht es dir, mir geht es gut. Jetzt muss ich aber Schluss machen … Also, alles wieder löschen und genauso ratlos auf den Monitor schauen wie vorher.
»Kuchen, Täubchen?« Meine Mutter erscheint im Türrahmen und jagt mir mal wieder einen Mordsschrecken ein. Zwei Wochen Formentera und sie sieht aus wie die Kannibalenbraut aus einem schlechten Tarzanfilm. Peinlich, aber sie findet’s schön und absolut erstrebenswert. Der einzige Grund, warum sie überhaupt auf diese versalzene Insel fährt. Vierzehn Tage lang hat sie alles gegeben, um so abartig braun zu werden. Nicht den winzigsten Sonnenstrahl hat sie sich entgehen lassen.
»Kann nicht«, knurre ich. Schließlich habe nicht ich gestern aufgehört zu rauchen, sondern sie. Und deswegen muss ich auch nicht dauernd irgendwas essen. Zum Beispiel Kuchen.
Meine Mutter lässt nicht locker. »Jetzt sei nicht so ein Streber, Spätzchen!«
»Ich muss erst mal einem wildfremden Engländer schreiben und das kann Jahre dauern, wenn nicht Jahrzehnte!«, stöhne ich.
»Einem Engländer? Warum das denn?« Meine Mutter zieht die Stirn in Falten und beißt in ein Stück Kuchen, das sie sich schon mal so auf die Hand mitgenommen hat. Statt Zigarette.
»Weil Frau Sonnenschein es so will!«, ächze ich und denke an die Englischstunde zurück, die am Morgen stattgefunden und mich in dieses Dilemma gestürzt hat.
Der erste Tag nach den Sommerferien. Sonnenschein ist gut gelaunt und voller Tatendrang in die Klasse gerauscht. »Good morning!«, flötete sie mit ihrer Sopranstimme und wuchtete ihre Tasche mit Schwung aufs Pult. »Is everybody back safe and sound? Did you all have a nice holiday?« Sie schaute in die Runde und hatte nichts Besseres zu tun, als ausgerechnet mich dranzunehmen. »Elli, what did you do during your holidays? Did you go away?«
»Yes«, antwortete ich.
»Where did you go?«
»Formentera!« Wie immer, Mrs Sunshine, wie immer!
»Oh, that’s just lovely! Tell us what exciting things you got up to there!«
»Nothing!«
Was sollte man auf Formentera schon erleben, außer am Strand liegen und die Füße ins lauwarme Wasser halten? Seit ich denken kann, fahren wir dorthin, jedes Jahr, in den gleichen Ort, ins gleiche Hotel, ja sogar ins gleiche Zimmer. Dabei hatte ich dieses Jahr alles dafür getan, endlich mal irgendwo anders hinzukommen. Italien, Griechenland, ganz egal. Ich hätte sogar eine Fahrradtour durchs Münsterland mitgemacht und habe meine Eltern mit Reiseprospekten nur so zugeschüttet. Doch am Ende waren wir wieder im Hotel Esmaralda gelandet, Zimmer 113.
»Nächstes Jahr, Blümchen, nächstes Jahr fahren wir nach Italien, ganz bestimmt«, hatte meine Mutter mich getröstet.
»You didn’t do anything?«
Ich schüttelte den Kopf. Klar hätte ich auch noch was anderes erleben können außer Sonnencreme verteilen und Quallen zählen. Ich hätte mir zum Beispiel einen Knutschfleck abholen können wie die Zicke von 111, die ihren so stolz herumtrug, als wäre er das Bundesverdienstkreuz. Aber nein danke, keine Lust, mir von einem Gonzales oder Santiago ewige Liebe schwören zu lassen, und kaum bin ich weg, ist die Nächste dran. Mein erster richtiger Kuss soll was Besonderes sein und von einem Jungen kommen, der es ernst meint. Und es wird ja wohl kaum jemanden interessieren, dass ich Muscheln gesammelt und nach außergewöhnlichen Pflanzen gesucht habe, die ich in meinem Gewächshaus züchten könnte.
»I did a lot of things«, sagte Frau Sonnenschein und berichtete uns stundenlang von ihrer langweiligen Reise nach England. Sie hatte unsere Partnerstadt besucht, »a quite delightful little town, utterly charming«, und, ach wie aufregend, auch unsere Partnerschule. Dort hat sie sich mit Mr Garner, dem Deutschlehrer, »a very nice, well educated man«, angefreundet und sich mit ihm ein ganz tolles Projekt ausgedacht.
»You’ll just love it«, juchzte sie, zog eine Schachtel aus ihrer Tasche, öffnete sie und stöckelte zur vorderen Tischreihe. »Ladies first!« Frau Sonnenschein blieb vor Meike stehen und raschelte mit der Schachtel vor ihrer Nase
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