Süchtig
meiner Träume lächelte. »Danke.«
Ihre Freundin schien mein Interesse zu spüren und holte zu einem Präventivschlag aus. »Das ist ein Frauenabend. Also bitte keine Flirtversuche«, sagte sie. Dann wurde sie einen Tick freundlicher. »Ihr Bier wird warm.«
Eigentlich hatte ich gar nichts mehr trinken wollen, aber jetzt blieb mir keine Wahl. Ich bestellte noch ein Bier. Ich plauderte mit dem Barkeeper und sah mir
das Spiel an. Ich unterhielt mich mit einem Paar rechts von mir, das nach einer sechsstündigen gemeinsamen Mountainbiketour froh war, sich mit einem unbeteiligten Dritten unterhalten zu können.
Hinter der Bar war ein Spiegel angebracht, in dem ich unauffällig mein Äußeres überprüfte. Von der Attraktivität her zähle ich mich zum oberen Fünftel der Bevölkerung, allerdings mit beträchtlichen Schwankungen. Ich bin einen Meter achtzig groß, durchtrainiert, kräftig und habe eher kurze Beine. Mit dem dunkelbraunen Haar und der markanten Nase wirke ich ein wenig südländisch. Manchmal werde ich mit exotisch wirkenden Charakterdarstellern verglichen, die gerade in Mode sind. »Das ist natürlich als Kompliment gemeint«, heißt es dann immer, aber der Ton gibt mir zu denken. Mein X-Faktor ist der Haarschnitt. Wenn der stimmt, arbeite ich mich bis in die oberen zehn Prozent hoch. Wenn nicht, lande ich abgeschlagen im Mittelfeld.
Als sich mein Blick vom Spiegel löste, merkte ich, dass sich mir endlich die lang ersehnte Gelegenheit bot.
Die Freundin meiner Schönen stand auf und entschwand in Richtung Toilette. Nach einer Anstandspause von zehn Sekunden tat ich so, als hätte ich ihre Abwesenheit eben erst bemerkt.
»Darf ich jetzt mit Ihnen reden?«, fragte ich. »Ich will nicht gegen die Genfer Konvention und andere Abkommen verstoßen.«
»Nur, wenn wir ganz leise sind«, flüsterte sie. »Sonst muss ich wieder nachsitzen.«
Ich hatte einen Artikel gelesen, in dem ein Flirtexperte
empfahl, abzuwarten, bis sich die Frau von sich aus vorstellte und damit ihr Interesse bekundete. Aber diese Frau hier hatte Besseres verdient als Salonintrigen. Außerdem blieb mir nicht viel Zeit. »Nat«, sagte ich.
»Ich bin Annie.«
»Ich habe einen Fluchtplan«, sagte ich. »Glauben Sie, wir können einen Tunnel durch die Bar graben?«
Annie griff nach ihrem Drink – einer roten Flüssigkeit in einem niedrigen Glas. »Kümmern Sie sich nicht um Sarah. Sie versucht nur, mich zu schützen – vor Nervensägen und Männern, die nicht wissen, dass Doppelzüngigkeit und Lügen die Waffen einer echten Dame sind.«
Sie lächelte.
»Jetzt aber Schluss«, sagte eine Stimme hinter uns. Sarah war zurück und legte offenkundig keinen Wert darauf, dass sich zwischen uns eine Beziehung entwickelte. »Ich habe Sie gewarnt, junger Mann. Keine Gespräche irgendwelcher Art.«
Annie zuckte die Achseln. War es Gleichgültigkeit oder Resignation? Dann griff sie nach ihrer Jacke. »Bis irgendwann.«
»Sie werden mir noch dankbar sein«, verkündete Sarah, als die beiden davongingen.
Ich sah keinen Weg, sie aufzuhalten, sofern ich nicht als verzweifelter, zwanghafter Irrer dastehen wollte. Doch unmittelbar bevor sie die Tür erreichten, zögerte Annie und blieb stehen. Vielleicht hatte sie es sich anders überlegt, oder ihr waren Zweifel gekommen, auf jeden Fall drehte sie sich um, ging zwei Schritte in meine Richtung und sagte für mich gerade noch hörbar:
»Pink Salamander«. Zumindest klang es so. Dann war sie verschwunden.
Falls das ein Gruß sein sollte, konnte ich nichts damit anfangen, und als Geheimbotschaft sagten mir die Worte ebenso wenig. Einen halben Tag lang suchte ich das Telefonbuch und die Straßen und Gassen der Stadt nach einem Hotel, einer Bar, einem Restaurant oder sonst irgendeinem Etablissement mit dem Namen Pink Salamander oder jeder nur denkbaren Variation davon ab. Am vielversprechendsten klang noch ein Tattoound Fingernagelstudio namens Chamäleon. Die trotz ihrer zahlreichen Piercings hausbacken wirkende Besitzerin erklärte mir, ich sei ein moderner Don Quichotte, und meine Suche müsse vergeblich bleiben, bis ich den Weg zu Gott gefunden habe.
Am nächsten Tag fuhr ich durch die ganze Stadt, in der Hoffnung, zufällig auf Annie zu stoßen. Stundenlang saß ich in Jeremy’s Bar and Grill herum. Ich fragte überall. Keine Sarah, keine Annie, kein Glück.
Nachdem ich meinen Aufenthalt bereits um einen Tag verlängert hatte, sah ich mich gezwungen, aufzugeben. Ich packte meinen Toyota
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