Süden und das Lächeln des Windes
Pressekonferenz teil! Keine Ausreden!«
»Ja«, sagte ich.
»Soll ich Sonja von dir grüßen?«, fragte er untertönig.
»Unbedingt«, sagte ich.
Wie bei einem Familienrat saßen wir uns gegenüber, mit dem Unterschied, dass bei richtigen Familien nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen auf der Couch Platz genommen hätten. Martin und ich hockten auf dem Boden, auf einem blaugrauen Auslegeteppich, die Beine angewinkelt, die Arme auf den Knien.
Eine Zeit lang schwiegen wir, und Sara hielt mit. »Das ist doch blöd«, sagte sie schließlich. »Ihr wollt bloß, dass wir euch was sagen, aber das geht euch nichts an, auch wenn ihr von der Polizei seid. Wir sagen euch gar nichts.«
»Ich schon«, sagte Timo. In der nächsten Sekunde zog er den Kopf ein, aus Furcht vor einer neuen Ohrfeige. Aber Sara hielt weiter seine Hand fest.
Durch die inzwischen wieder geschlossenen Fenster war das Rauschen des Verkehrs und das metallene Brummen der Straßenbahnen zu hören. In der Stille des Zimmers klangen die Geräusche friedvoll wie die gedämpfte Musik einer Stadt, die uns wohlgesinnt war.
Sara saß im Schneidersitz auf dem Sofa, Timo hatte die Beine ausgestreckt, sie reichten nicht bis zum Boden.
Es war ihm anzumerken, dass er über unser Auftauchen erleichtert war, auch wenn er sich zusammenriss und eine ernste Miene machte, um sich keinesfalls den Zorn Saras zuzuziehen.
»Timo«, sagte ich, »weißt du noch, wie ich heiße?«
»Tabor Süden.«
»Genau, ich suche Verschwundene, auch Kinder, das ist mein Job als Polizist.«
»Sie sehen aber nicht aus wie ein Polizist.«
»Ich zeige dir meinen Ausweis.« Ich beugte mich vor, und er tat dasselbe.
»Das Foto ist aber alt da drauf«, sagte er.
»Das stimmt«, sagte ich. »Deine Mutter macht sich Sorgen um dich. Willst du sie nicht anrufen?«
»Sie haben sie doch schon angerufen«, sagte er. »Vorhin auf dem Klo. Obwohl wir das nicht wollten.« Er warf Sara einen Blick zu, die seine Hand losließ. Er zuckte zusammen.
»Glauben Sie, Sie können uns austricksen?«, sagte Sara.
»Ich habe nicht mit deiner Mutter telefoniert«, sagte ich zu Timo. »Ich habe meinen Chef angerufen und ihm gesagt, dass wir euch gefunden haben. Er kann jetzt die Sonderkommission auflösen.«
»Eine Sonderkommission ist eine Soko, oder?«, sagte Timo.
»Halt doch endlich die Klappe, Blödian!«, sagte Sara. Er presste wieder die Lippen aufeinander.
»Du hast übrigens Recht«, sagte Martin, an Sara gewandt.
»Dein Vater ist festgenommen worden, er ist noch nicht im Gefängnis, aber er wird in den nächsten Wochen wahrscheinlich nicht nach Hause kommen.«
Nach einem Schweigen, das sie durch einen langen Blick an die Decke untermauerte, sagte Sara: »Muss ich jetzt weinen?«
»Magst du deinen Vater nicht?«, fragte Martin.
»Mein Vater!« Sie riss sich die Mütze vom Kopf und warf sie über uns hinweg ins Zimmer. Timo schaute seiner Kopfbedeckung aufgeregt hinterher, wagte aber nicht zu protestieren. »Mein Vater ist ein Gangster, er ist ein Lügner, ich hab ihn durchschaut, er denkt, ich bin blöd, weil ich ein Kind bin, er ist selber blöd, obwohl er erwachsen ist. Ist mir egal, ob er eingesperrt wird oder was, mit dem Typ hab ich nichts zu tun.«
»Du hängst an deinem Vater«, sagte ich zu Timo. Er biss sich auf die Lippen.
»Halt bloß die Klappe!«, befahl Sara.
Plötzlich sprang Timo vom Sofa, riss sich wie vorher Sara die Mütze die Ohrschützer vom Kopf und warf sie mit voller Wucht gegen die Wand. Dann rannte er hin, hob sie auf und warf sie noch einmal dagegen. Er stapfte durch den Raum, kickte seine Mütze wie einen Fußball vor sich her, von einer Wut getrieben, die mit jedem seiner Schritte zu wachsen schien.
»Der geht nach Wolfsburg!«, sagte er immer wieder mit gepresster Stimme und hielt den Kopf gesenkt, und es sah aus, als meine er seine Mütze, die er mit seinen Winterstiefeln traktierte. »Der geht nach Wolfsburg und nimmt mich mit. Er nimmt mich mit. Er hat gesagt, er nimmt mich mit…«
»Hat er gar nicht gesagt!«, rief Sara dazwischen.
»Hat er wohl gesagt!«, schrie Timo. Dann schoss er die Mütze gegen die Heizung und stürmte durchs Zimmer, die Mütze weiter vor sich herfeuernd. »Der geht nach Wolfsburg, und ich muss mit! Und ich darf nicht bei dir bleiben! Und das ist so gemein, und das mach ich auch nicht! Ich bleib bei dir und ich geh auch nicht nach Hause zurück, ich lass mich nicht verschleppen, ich bin kein Slave, ich bin kein Slave!«
Er
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