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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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mich wundere, ist, dass keiner kommt und mich umbringt. Dauernd werden Frauen in der Nacht ermordet. Und ausgerechnet heute Nacht, wenn die Richtige dasitzt, allein in einer schwarzen Straße zur richtigen Zeit, kommt kein Mörder und erledigt sein Handwerk. Das ist alles sehr ungerecht. Ich würde mich nicht wehren. Vorhin habe ich mich auch nicht gewehrt. Und all die Male zuvor auch nicht. Ich halte still, das habe ich gelernt. Ich würde nett sagen: Bitte. Nettsein habe ich von der Pike auf gelernt.
    Hoffentlich hört die Nacht nicht auf. Wenn der Tag mich so erschaut, dann schämt er sich, und die Menschen müssen leiden. Ich suche mir jetzt einen Keller. Vielleicht sterbe ich dort an der Angst. Das wäre praktisch. Dann wäre niemand dran schuld.

    Weil noch Schlaf übrig war in dieser Nacht, vergaß Ariane Jennerfurt ihr Vorhaben wieder. Doch was sie träumte, wusste sie später nicht mehr.

    Offenbar war Tabor Süden mit seinen Gedanken woanders. Vornübergebeugt betrachtete der Kommissar seine Hände. Drehte sie mehrmals. Bog die Finger nach oben. Hielt die Kuppen nah vor seine Augen. Richtete sich auf, ohne den Blick etwas anderem zuzuwenden. Und schloss für einige Momente die Augen.
    Iris bemerkte Schilffs Blick und setzte sich an die andere Schmalseite des kleinen Tisches. Herausfordernd starrte sie ihm ins Gesicht. Doch das irritierte ihn nicht.
    Während Iris und Schilff den schwarzen Kaffee tranken, grübelte der Kommissar über seinen Händen.
    Schon beim Betreten von Arianes Wohnung war Schilff aufgefallen, dass Süden sich dauernd umsah. Als müsse er an den Gegenständen vorübergehen, bevor er begriff, dass sie da waren. Dann erst wandte er sich um. Und schaute genauer hin.
    »Wieso steht hier der Spiegel verkehrt herum an der Wand?«, hatte er gefragt. Und Iris wusste keine Antwort.
    Aus den Berichten, die er über den Kommissar gelesen hatte, kannte Schilff einige Dinge aus dessen Leben. Zum Beispiel seine Technik, Leute zum Reden zu bringen. Worin genau diese Kunst bestand, konnte keiner der Reporter erklären. Aber alle Zeugen äußerten sich noch Monate später voller Verwunderung und Verblüffung darüber.
    »Probleme?«, fragte Niklas Schilff.
    Süden klopfte die Fingerspitzen aneinander, wobei seine Hände ein biegsames Viereck formten.
    Iris trank. Und fragte sich, wieso sie sich auf das hier eingelassen hatte. Ariane durfte das nie erfahren.
    Iris war ratlos. Und wütend. Auf sich. Auf ihre Freundin.
    »Wir gehen jetzt«, sagte sie.
    Und Kaffee hatte sie auch gekocht. Um zwei Uhr morgens. Auch wenn es nur löslicher Kaffee war.
    Süden hatte so lange auf sie eingeredet, bis sie nachgab und ihnen erlaubte mitzukommen. Was sie inzwischen unerhört fand.
    »Sie erzählt Ihnen alles, Sie wissen etwas.«
    Iris zuckte zusammen.
    »Was?«
    Endlich hörte Süden mit dem Fingerspiel auf. Er legte die rechte Hand flach auf den Tisch und rieb sich mit der linken über die Lederhose.
    »Sie hat doch schon gesagt, dass sie keine Ahnung hat«, sagte Schilff. In seinem Kopf zischelte es wie von unzähligen Lunten. Jedes Wort entzündete eine weitere. Er konnte es hören. Er blinzelte. Und straffte den Rücken. Und diese Bewegung löste ein Gefühl grotesker Eitelkeit aus. Er sah sich beobachtet von Fotografen, die hinter der Tür auf ihn lauerten. Auf seinen Auftritt. Auf ein Missgeschick. Oder eine bisher ungeknipste Geste. Mit dem Zeigefinger strich er sich die Haare hinter die Ohren. Und kam sich sofort weibisch vor. Das ärgerte ihn maßlos. Und er warf Iris einen verächtlichen Blick zu.
    »Ist was?« Sie stellte die Tasse hin. Und war nahe daran, laut zu werden.
    Um seine Finger hatte Schilff inzwischen braune Pflaster geklebt, auch auf die Handrücken. Interessierte ihn nicht, was die Leute dachten. Ich teil aus und steck ein, davon kriegt man Wunden.
    Von Minute zu Minute verlor er mehr das Gleichgewicht. Und dabei hatte er sich beinah erholt gehabt. Beinah hätte er angefangen, sich in dem windigen Hotel in der Lämmerstraße aufgehoben zu fühlen. Niemand kümmerte sich um ihn. Niemand stellte Fragen. Niemand verbot ihm zu trinken.
    »Ich bin nicht betrunken«, sagte er laut.
    Iris holte Luft. »Jetzt hauen Sie endlich ab, die kommt schon wieder.« Sie stand auf. Spülte die Tasse ab und stellte sie in den Ausguss.
    In einem Hängekorb lagen Plastiktüten mit Gewürzen. An der Wand neben dem schmalen Fenster hing das gerahmte Bild einer Sonnenblume, fünf mal fünf Zentimeter groß. Die

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